: Fürs Abwickeln ist er sich zu schade
Der älteste Rabbiner Deutschlands: Seit fünf Jahren leitet William Wolff die jüdischen Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns. Die bestehen großteils aus Russen, die wenig über das Judentum wissen. Doch Aufgeben kommt für den 80-Jährigen, der 1933 nach England floh, nicht in Frage
VON PETRA SCHELLEN
Man weiß nie so recht, ob er sich über einen lustig macht. Denn manchmal lacht Rabbi William Wolff ganz plötzlich. Auch an Stellen, die eigentlich nicht sehr lustig sind. Gleich darauf ist er dann wieder ganz ernst und antwortet karg auf Fragen, als hätte er das alles schon x-mal erzählt. Aber er ist ja nicht verpflichtet, dem Klischee vom stets freundlichen, chassidisch-humorigen Rabbi zu entsprechen. Leicht hat er es ja auch nicht, der älteste Rabbiner Deutschlands: Seit 2002 ist der 80-jährige Wolff Landesrabbiner in Mecklenburg-Vorpommern. Er betreut die Gemeinden Schwerin und Rostock mit zusammen genommen 1.100 Mitgliedern.
Will man ihn in Schwerin treffen, muss man ein bisschen suchen. Kein Klingelschild verweist auf die Aktivitäten des Gemeindezentrums, das nur ein paar Schritte neben der ehemaligen Synagoge steht. Die Gemeinde, die zu DDR-Zeiten nicht existierte, ist klein. Auf die Frage, ob sie hauptsächlich aus Russen bestehe, wird Wolff sogar unwirsch: „Nein, nicht hauptsächlich“, ruft er aus – „zu 100 Prozent!“ Ein bisschen spiegelt seine Gereiztheit ein Problem: Die zwischen 1994 und 2005 Zugewanderten wissen kaum etwas über das Judentum. Das ist nicht erstaunlich, sind sie doch in einem erklärt atheistischen System aufgewachsen: „Der Antisemitismus in der Sowjetunion hat sie in eine jüdische Identität hineingedrängt“, sagt Wolff. „Aber das kam von außen.“ Andererseits habe niemand die Zuwanderer verpflichtet, der jüdischen Gemeinde beizutreten. „Irgendeine Verbindung werden sie wohl spüren“, sagt er.
Schweigend sitzt er im spartanischen Arbeitszimmer des heruntergekommenen Hauses, für dessen Renovierung das Land kein Geld hat. Er hat sich damit abgefunden, dass das hier kein originär jüdisches Gemeindeleben ist. „Das deutsche Judentum – und als gebürtiger Berliner bin ich deutscher Jude – ist ausgestorben. Das kann man nicht wiederbeleben.“
Da bleibe nichts zu deuteln, und so tut der erst vor fünf Jahren aus dem britischen Exil zurückgekehrte Wolff, was er kann: Er bietet Deutsch- und Schachkurse an, hält Gottesdienste. Und er beerdigt die Leute. Mehr ist nicht drin. „Eigentlich müssten wir hier Jugendarbeiter anstellen. Aber dafür fehlt das Geld.“ Nicht, dass die Politiker ihn nicht verstünden. Er steht sogar auf freundschaftlichem Fuß mit ihnen. „Aber die haben auch ihre Beschränkungen.“
Verbittert wirkt William Wolff nicht. Dafür aber, dass er sich mit den Zuwanderern nur aufgrund seiner wenigen Russisch-Brocken verständigen kann, überrascht seine Gelassenheit. Denn objektiv befindet er sich in einer bizarren Situation: Landesweit wird er für seine Vorträge und den intensiv betriebenen interreligiösen Dialog geehrt. Für die Basisarbeit aber hat er fast keine Ressourcen zur Verfügung. „Ich glaube, dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland in den nächsten 20 Jahren stark schrumpfen werden“, sagt er. „Die Älteren sterben, und die Jüngeren gehen in der säkularen Gesellschaft auf.“ Eine Lösung scheint nicht in Sicht zu sein: „Um diesen Trend zu stoppen, müssten die jüdischen Gemeinden in Deutschland das Problem erstmal zur Kenntnis nehmen. Dann wäre zu überlegen, ob man einiges modernisiert. Ob man die Sabbat- und Essensregeln lockert und neue Angebote macht.“ Das könnten zum Beispiel religiöse Feste sein, die in den Familien kaum noch begangen würden.
In den USA besorgten das die Sommercamps. „Sie vermitteln den Jugendlichen jüdische Identität“, sagt Wolff. „In Deutschland sehe ich keinerlei derartige Bemühungen.“ Dafür schlägt er sich hier mit bizarren Rechtsstreitigkeiten herum: Zum Beispiel mit der Klage einer Schwerinerin, die zu DDR-Zeiten ein Haus auf einer Wiese bezog, ohne zu wissen, dass diese Teil des ehemaligen jüdischen Friedhofs war. Nach der Wende wurde das Gelände an die jüdische Gemeinde zurückgegeben, die es wieder nutzen wollte. Doch die Anwohnerin wollte beim Blick aus dem Fenster keine Trauerzüge sehen müssen und klagte. „Ich hoffe, dass das Gericht zu unseren Gunsten entscheidet“, sagt Wolff. „Wir haben zwar ein Areal auf dem städtischen Waldfriedhof. Aber in ein paar Jahren wird das nicht mehr ausreichen. Dann wäre es gut, wenn wir den jüdischen Friedhof nutzen könnten.“
Damit auch die Gemeinde dann wenigstens in Würde beerdigt werden kann? Nein, Resignation ist keine Option für den 1933 aus Deutschland geflohenen Ex-Boulevardjournalisten, der mit 50 Jahren noch einmal studierte und Rabbiner wurde. Aufgeben passt nicht zu dem kleinen, hageren Mann, der nicht ans Aufhören denkt. Und für das Abwickeln des jüdischen Gemeindelebens ist er sich zu schade. Aber das sagt er nicht. Er denkt es vielleicht, setzt sich den Hut auf und geht nach draußen. Nein, die traditionelle Kippa trägt er nicht. Zwar gebe es „keinen Antisemitismus in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt er. Aber das klingt ein wenig wie eine Schutzbehauptung. Oder wie ein Wunsch.
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