Wer kennt schon Brescello?

Das italienische Dorf, das sich im Ruhm von Don Camillo und Peppone sonnt. Wer hierherkommt, um in Erinnerung an die Filmklamotte zu schwelgen, hat das Gefühl, hier schon gewesen zu sein

VON KORNELIA STINN

Die Sonne knallt ganz unverschämt auf das Kopfsteinpflaster in den schmalen, alten Gassen. Auf der Piazza Matteotti sticht sie durch die Sonnenschirme der Eisdiele. Das Eis ist so gut, dass man das in Kauf nimmt. Dennoch würde wegen dieser köstlichen Erfrischung wohl kaum jemand nach Brescello kommen, jenem kleinen Dorf in der Po-Ebene bei Parma, von dem es schon in einem Prospekt heißt, dass hier im Sommer den Menschen die Sonne unbarmherzig aufs Gehirn brenne und alle verzweifelt seien. Welcher Ort sonst würde so um Gäste werben? Damit kann nur Brescello landen.

Ja, es kann sich sogar rühmen, damit in die Filmgeschichte Einzug gehalten zu haben. Denn jene Worte haben ihren Platz im Vorspann des Films „Don Camillo und Peppone“. Und der wurde in Brescello gedreht. Darum sind sie in einem Prospekt zu finden, das von den Schauplätzen dieses Films handelt.

Wer kennt sie nicht – die unglaublichen Episoden um die beiden Hitzköpfe: den streitbaren Geistlichen mit dem Pferdegrinsen und den scheinbar kompromisslos roten Bürgermeister. Die sich dauernd in den Haaren liegen und gegenseitig austricksen und dabei so unterschiedlich gar nicht sind. Im Jahre 1951 erkor ihr geistiger Schöpfer, Giovanni Guareschi, den unbekannten Ort Brescello als Schauplatz für das Filmgeschehen. Guareschi kannte Land und Leute der Region, war selbst einer von ihnen. Ziemlich heiß ging es dann aber doch noch her, um die Drehgenehmigung von den Behörden in Reggio Emilia zu erhalten. Befürchtete man doch in dieser damals roten Landschaft, das Ganze führe zu einer Blamage der Kommunisten. Als Regisseur fand man schließlich den Franzosen Julien Duvivier, der Fernandel gleich mitbrachte als Darsteller für Don Camillo. Die besten italienischen Regisseure hatten dankend abgelehnt. Wollten sie doch schließlich noch länger in diesem Lande leben.

Für die filmische Umsetzung der Anekdoten von Don Camillo und Peppone aber brauchte Guareschi vor allem einen Ort, in dem sich die Kirche in Sichtweite des Rathauses befand. Da war Brescello goldrichtig. Versehen mit der passenden parteipolitischen Farbe und Leidenschaft und mit einer Piazza, die dafür geschaffen schien, dass sich diese beiden Kontrahenten dauernd über den Weg laufen mussten.

Wie man sich auch heute noch davon überzeugen kann, wenn man auf dieser Piazza sein Eis genießt. Linker Hand sieht man das Rathaus. Und diesem schräg gegenüber beherrscht die gewaltige Kirche Santa Maria Nascente den Platz. Inzwischen frisch gestrichen. Hier erkennt man den Glockenturm, der Don Camillo als Beobachtungsposten für die Versammlungen der Kommunisten auf der Piazza diente, dort das Fenster, durch das Peppone dereinst den hungerstreikenden Seelenhirten erspähte. Und im Innern der Kirche liest man in einer Nische: Capella del Cristo, dei films di „Don Camillo“.

Auch wer kein Italienisch spricht, ahnt, dass damit das sprechende Kruzifix gemeint ist. Don Camillo schleppte seinen Herrn immer wieder im Schweiße seines Angesichts. Ermanno Zanichelli (75), der als Statist im ersten der fünf gesendeten Filme mitgewirkt hat, erinnert sich an eine kuriose Szene: „Fernandel sollte das Kreuz in Boretto, einem Nachbarort von Brescello, den Weg an der Kathedrale vorbei zum Damm am Po hinauftragen. Dabei sollte ihm als zunächst einziger Prozessionsbegleiter ein Hund hinterherlaufen. Doch auch der hatte dazu keine Lust. Nur mit einem Stück Fleisch, das man hinten an die Soutane von Don Camillo anband, ließ er sich locken.“

Manch einer in Brescello weiß heute noch von den Dreharbeiten zu erzählen. Etwa, wie die riesigen weißen Schirme aufgebaut da standen, unter denen die schweißtriefenden Schauspieler in den Pausen Schatten fanden. Oder wie der Peppone-Darsteller, Gino Cervi, nach Drehschluss mit Bewohnern Brescellos Karten klopfte. Zachinelli berichtet auch, wie unzählige Statisten bei brütender Hitze ihrem „Parteiführer“ Peppone zujubeln mussten. Dem damals 15-jährigen Gabriele Carpi fiel eine sehr angenehme Rolle zu. Mit einem Eis in der Hand durfte er am Rande des Geschehens auf und ab radeln. „Das machte mir großen Spaß“, lacht er, „zumal es längst nicht bei nur einem Eis blieb.“ Wer das Eis auf der Piazza Matteotti gekostet hat, versteht seine kindliche Freude. All die alten Geschichten leben in dem Ort weiter. Eine Nacht, wo zum Beispiel im Caffè Peppone Erinnerungen aufgewärmt werden, kann lange dauern. Bis man nicht mehr zwischen Film und Wirklichkeit unterscheiden kann.

Ein Film, der sich die Realität eroberte. Ein Ort, der ein Dasein führt wie im Film. Ein bisschen jedenfalls. Der größte Teil der Bevölkerung war damals als Statisten eingebunden. Über die Dauer gesehen, führte das zu einem guten Zubrot der damals armen Bevölkerung. In dem Ort, wo sich damals höchstens der Metzger und der Bäcker einen Kühlschrank leisten konnten, sollen nach Abschluss der Dreharbeiten die begehrten Haushaltsgeräte in so mancher einfachen Wohnung gestanden haben.

Wer nach Brescello kommt, um in Erinnerung an die alte Filmklamotte zu schwelgen, hat aus gutem Grunde das Gefühl, hier schon einmal gewesen zu sein. Dicht an dicht bevölkern die schmalen Häuser genau wie damals unebene Gassen. Das „Haus von Peppone“ erkennt man auch heute noch wieder, auch den Balkon, von dem er als frisch gebackener Vater stolz verkündete; dass ein neuer Kommunist geboren sei. Und die Madonna del Borghetto? Das Marienhäuschen, von dem Don Camillos flammende Rede den Abriss verhinderte? Es gibt sie noch. Ebenfalls liebevoll restauriert. Nummerierte Schildern leiten zu den verschiedenen Originalschauplätzen: dem Bahnhof zum Beispiel oder zu Peppones „Glocke des Volkes“, die heute mitten im Ort hängt. Peppone ließ sie eigens gießen, damit sie während des Leichenzuges eines seiner jungen Parteifreunde läute.

35.000 Besucher sollen es sein, die alljährlich hierherpilgern. Seit 1999 gibt es auch ein Museum. Das allerdings heißt: Museum Peppone und Don Camillo. Der damalige Bürgermeister soll darauf bestanden haben, dass hierbei gegen alle Gewohnheit Peppone, sein „Vorgänger im Amt“, als Erster benannt werde.

Sollten am Ende die Rivalitäten doch noch nicht begraben sein? Der jedenfalls, der Gelegenheit bekommt, in die Amtsstube des jetzigen Bürgermeisters zu schauen, wird staunen. Sogleich erkennt er: Genau hier war es, wo einst Peppone residierte. Die gleichen Flaggen. In der gleichen Manier miteinander gekreuzt stehen sie hinter dem Chefsessel. Auch dem jungen, sozialistischen Bürgermeister ist das revolutionäre Filmoberhaupt des Orts ein „würdiger Vorgänger“.

Dass aber der zupackende Peppone, alias Gino Cervi, im wahren Leben politisch konservativ gewesen sein soll und deshalb diese Rolle eigentlich gar nicht spielen wollte, das mag man nicht glauben. „Eines jedoch“, sagt Giuseppe Vezzani verschmitzt, „unterscheidet mich von meinem Namensvetter Peppone, der ja auch Giuseppe hieß. Mit dem Pfarrer habe ich keine Probleme.“

Obwohl der letzte, allerdings wegen der Krankheit von Fernandel nie vollendete Film mit den Originalschauspielern bereits im Jahre 1972 gedreht wurde, sind in dem kleinen Ort Brescello Don Camillo und Peppone bis heute noch immer allgegenwärtig. Nicht nur als Figuren auf der Piazza Matteotti. Auch die Sonne brennt heute noch unverschämt vom Himmel. Mag sein, dass sie dabei manchmal auch die Gemüter erhitzt – ganz wie damals.