Knöllchen mit gewaltsamen Folgen

In Mailand verprügeln hunderte wütende Chinesen die Polizei. Hintergrund ist ein seit langem schwelender Streit zwischen chinesischen Zuwanderern und alteingesessenen Mailändern, die sich vom Geschäftssinn der Migranten bedroht fühlen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Auf der einen Seite hunderte Demonstranten mit roten Fahnen, auf der anderen Seite Polizisten in Vollmontur: Mailand erlebte in der Nacht zum Freitag stundenlange Krawalle mit dutzenden Verletzten. Fast durchweg handelte es sich bei den Protestierenden um Geschäftsleute aus der Bekleidungsbranche: chinesische Migranten, die gegen Polizeischikanen in der norditalienischen Metropole revoltierten.

Auslöser der Zusammenstöße war ein Knöllchen, das eine Polizistin einer jungen Chinesin verpassen wollte. Ein heftiger Wortwechsel, eine Rangelei und die Festnahme der Verkehrssünderin folgten. Nach Aussagen chinesischer Anwohner war es der – von der Polizei bestrittene – Einsatz eines Schlagstocks, der die Situation eskalieren ließ. Als polizeiliche Verstärkung nahte, strömten hunderte Chinesen auf die Straße, schlugen die Scheiben der Einsatzwagen ein und blockierten den Verkehr.

Die Chinesen Mailands beklagen, dass sie in ihrem Viertel im Stadtzentrum – 13.000 von ihnen leben dort legal, weitere rund 2.000 klandestin – seit Monaten systematisch von den Ordnungshütern schikaniert werden. Hintergrund ist die Veränderung des Viertels: Immer mehr chinesische Bekleidungs- und Großhandelsbetriebe haben dort aufgemacht, zum Unmut der eingesessenen italienischen Bevölkerung, die beklagt, dass die traditionelle Infrastruktur des Viertels wegbreche. Die Stadtverwaltung, die über Jahre den chinesischen Unternehmern umstandslos die Geschäftslizenzen erteilt hatte, versucht nun mit einer rigiden Kontrollpolitik gegenzusteuern.

So ist in Mailand das Be- und Entladen von Lieferwagen nur zwischen 10 und 14 Uhr erlaubt. Kaum wird einer der chinesischen Händler außerhalb dieser Zeiten erwischt, sind Geldbußen fällig. Mitten im Stadtzentrum dagegen können italienische Händler die gleiche Norm risikolos übertreten. Außerdem werden die Chinesen sofort bestraft, wenn sie außerhalb der erlaubten Zeiten auch nur mit einer Sackkarre auf dem Bürgersteig Pakete transportieren.

Hauptverfechterin des einseitigen Law-and-Order-Kurses ist die Berlusconi-nahe Bürgermeisterin Mailands, Letizia Moratti. Nach den Zusammenstößen erklärte sie, sie werde in der Stadt „keine gesetzesfreien Zonen zulassen“, die Straßenverkehrsordnung gelte „für alle“. Ihr antwortete umgehend der chinesische Generalkonsul in Mailand, Limin Zhang. Er wies darauf hin, dass die chinesischen Händler mit städtischen Lizenzen zwar legal ihre Geschäfte eröffnen konnten, nun aber mit der neuen Bußgeldpolitik an ihrer Berufsausübung gehindert würden. Nach den monatelang aufgebauten Animositäten bedurfte es nur eines kleinen Vorfalls, um die Krawalle zu entfesseln. Vor allem die zwanzigjährigen, meist in Italien aufgewachsenen Töchter und Söhne der Geschäftsinhaber führten die Proteste an. Sie fordern einen Dialog mit der Stadt und einen Verzicht auf die Politik der gezielten Schikanen.