Geschredderte Schatten

Die Spuren Platons verlaufen nicht im Sand. In Düsseldorf geben Matthaei und Konsorten ein zeitgenössisches Update des alten Streits um Schein und Sein und scheitern an seiner Unlösbarkeit

von CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Schuld an allem ist eigentlich Platon. Weil der alte Grieche sein Trademark von sinnlicher Erscheinung und der reinen Idee in die Welt setzen wollte, wählte er das anschauliche Beispiel von den Menschen, die in einer Höhle nichts anderes als ihren eigenen Schatten zu Gesicht bekommen. Die Konsequenz? Rund 2.500 Jahre später sitzt das Publikum im Düsseldorfer FFT rund um die Bühne und sieht erstmal – nichts.

Mit langen hellen Stoffbahnen hat Regisseur Lukas Matthaei die Bühne für seine Inszenierung „Unsere Tage wie Schatten“ in einzelne Kammern abteilen lassen, gefüllt mit Worten und Gesten seiner DarstellerInnen. Selbstverständlich gehört es zum guten Ton, wenn dieser nur schwer mit den Bewegungen der TänzerInnen in Einklang steht. Während eine Stimme aus dem unsichtbaren Teil der Bühne von vergeben gebliebenen Lebensträumen erzählt, baut sich in einer anderen Kammer eine junge Tänzerin vor dem Publikum auf und fängt unvermittelt an, in der Art zu kichern, bei der man unsicher ist, ob sie in Freude oder Verzweiflung ihren Ursprung hat – eine Dekonstruktion von Zuschauererwartungen.

Manchmal ist die Dekonstruktion halt doch Methode. Lange Interviews führte Lukas Matthaei im Vorfeld der Inszenierung mit seinen DarstellerInnen aus drei Generationen, in denen die Lebensperspektiven und Sehnsüchte eines 17-jährigen mit denen einer 81-jährigen konfrontiert wurden, um von eben jener Vergänglichkeit zu erzählen, die der Barockdichter Mathias Gryphius beschreibt: „Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein“.

Im Stück äußert sich diese Gegenüberstellung als Aneignung. Der gertenschlanke 17jährige Christian Kirchhof berichtet vor dem Mikrofon von den Gleichgewichtsproblemen, die sein zunehmender Bauchumfang mit sich bringt – doch es sind die Worte von Ensemblemitglied Bodo von Borries, der nach seinem Karriereende bei der Bundeswehr als Schauspieler in Düsseldorf reüssierte. Als solcher zeigt er nur wenig Respekt vor den ewigen Wahrheiten, etwa den Sprichworten des Alten Testaments, die er genüsslich dem Papierzerkleinerer übergibt. Und der Totenkopf, seit dem Barock das Symbol von Vergänglichkeit, erscheint in seiner Comic-Variante als Motiv auf dem T-Shirt einer jungen Tänzerin als simples Modeacessoire, als warenhaft leere Form.

Bei soviel Drang zur Umdeutung ist es allerdings ein wenig enttäuschend, wenn die Soundkulisse überraschend eindimensional bleibt. Die Uneindeutigkeit einer Situation mit den Breaks von Mouse on Mars und adoleszente Ausbrüche mit NuMetal aus Retorte und Konserve zu untermalen, dürfte selbst bei musikalisch nur wenig beflissenen Theatergängern ein sanftes Gähnen ununterdrückbar erscheinen lassen.

Vielleicht liegt aber auch darin eine Erkenntnis versteckt. Wenn die verfeinerten Geschmacksverästelungen von Pop nur noch klischeehaft illustrieren können, wird es vielleicht Zeit, den Blick auf andere Formen des Ausdrucks zu richten – auf die dokumentierten Geschichten der Menschen, zum Beispiel. Lukas Matthaei und sein Ensemble damit die Folkmusiker des Tanztheaters,der tänzerische Ausdruck zeitgenössischen Dokumentartheaters. Und die Schatten dieser Form zu zerschreddern ist die Aufgabe ihrer Nachfolger. Platon wird sich darüber freuen.

Unsere Tage wie Schatten, 20., 21. und 22. April, FFT Düsseldorf Infos: 0211-87678718