: Ein dickes B für NRW
Berlin lehrt NRW-Sportler das Fürchten. Zum Start der europäischen Football-League zieht Rhein Fire gegen die Hauptstädter den kürzeren. Und auch die Hertha-Fußballer gewinnen beim Angstgegner Bochum – dank Klimawandel und TrainerwechselAUS DÜSSELDORF PETER ORTMANN
Ein Mann mit Helm und einem Lederei im Arm rast wie die Feuerwehr 55 Meter weit über ein Spielfeld und freut sich anschließend wie Thor, der Donnergott. Berlins Quarterback Travis Lulay löschte so die letzten Hoffnungs-Flammen im „House of Fire“. So heißt die Düsseldorfer Arena immer dann, wenn die Fortuna, sondern das American Football-Team Rhein Fire dort spielt. 2007 hieß der erste Gegner in der NFL-Europaliga Berlin Thunder. Doch das von über 30.000 Fans erwartete Feuerwerk brannte nur vor dem Spiel.
Und die Art und Weise, wie sich Rhein Fire nach vier Quartern mit 3:15 im eigenen Stadion geschlagen gab, macht nachdenklich. „Unsere Quarterbacks waren nicht effektiv genug“, sagte Fire Head Coach Rick Lantz nach dem Spiel und das war eigentlich noch übertrieben. Cody Pickett und Brett Elliot waren das ganze Spiel hindurch schlicht überfordert. Selbst todsichere Positionen kurz vor der gegenerischen Endzone wurden nicht genutzt, spektakuläre Spielzüge gab es nicht und was das schlimmste war, es gab keinen Versuch, sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen, selbst als das noch möglich war – und im American Football ist ein Comeback fast immer möglich. Doch die Partie plätscherte aus, Sparflamme statt einer letzten Feuerwalze. Selbst wenn Fire dann höher verloren hätte. Die echten Football-Fans hätten damit kein Problem gehabt. Die US-amerikanischen Fernsehzuschauer sicher auch nicht. Wie immer werden die Spiele der NFL Europaliga live in die Staaten übertragen, denn die Spieler wollen sich hier für die Profiliga zu Hause empfehlen. In Düsseldorf ging das in die Hose. Für beide Mannschaften, auch wenn Thunder am Ende gewonnen hat und nicht einmal eigene Cheerleader dabei hatte. „Beide Teams müssen sich erst noch finden“, sagte Berlins neuer Cheftrainer John Allen nach dem Spiel. Der hatte bei Thunder ausgerechnet Fire Coach Rick Lantz abgelöst.
Nach blinkenden Teufelshörnern, den Nationalhymnen und dem Gospelchor mit „Oh happy day“ hatte das Spiel schon merkwürdig angefangen. Der Berliner Kicker Andrew Jacas trat das Ei 67 Yard weit. Taurean Henderson trug den Ball zurück an die 30 Yardlinie. Der erste Ballbesitz gehörte Rhein Fire. Nach sieben Sekunden nahmen die bereits eine erste Auszeit. Nun geht es los, dachte man. Der erste Pass von Quarterback Cody Pickett kam an. Rhein Fire erzielte ein erstes First Down. Doch dann stockte die Offensive schon wieder. Punter Danny Baugher musste aufs Feld. Erster Schuss, erster Block, Berlin kam bedenklich früh in Ballbesitz und ziemlich schnell nah an die Fire-Endzone. Thunder vertändelte dann an der 10 Yard Linie (!). Glück gehabt, doch für den deutschen Star Peter Heyer war da das Spiel zu Ende. Nach nur sieben Minuten Spielzeit wurde der Guard mit einer Knieverletzung aus dem Stadion gefahren.
Rick Lantz wechselte den Quarterback. Brett Elliott von den San Diego Chargers feuerte einen Pass über 30 Yards auf P.K. Sam von den Miami Dolphins. Noch ein 9 Yard-Lauf von Running Back Taurean Henderson von den Atlanta Falcons. Die zweite Garde der US-Profiliga zauberte Rhein Fire bis 30 Zentimeter an die Berliner Endzone heran. Vor dem Stadion zappelte bereits das altbewährte Düsseldorfer Touchdown-Pferd. Doch dieser Feuer-Abend gehörte eben von Anfang an in den Aschenbecher. Es kam wie es kommen musste. Selbst 30 Zentimeter war zu weit weg von der erlösenden Linie. Ein misslungener Quarterback-Sneak, zwei müde Running Back-Versuche. Nix war es mit Touchdown, es gab Raumverlust. Kicker Connor Hughes von den Pittsburgh Steelers verwandelte nach 20 Minuten sein Fieldgoal aus 21 Yards (!) zur 3:0 Führung für Rhein Fire. Es wurden die einzigen Punkte im ganzen Spiel. Und nächste Woche muss Fire zu den Amsterdam Admirals, die kämpfend bei Frankfurt Galaxy verloren haben. Teelichte helfen da nicht.
AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN
Fußballerisch ist Berlin auf den Klimawandel gut vorbereitet: Hitzehoch „Peggy“ war am Samstag mindestens so wichtig für den ersten Auswärtssieg von Hertha BSC seit fünf Monaten wie der Trainerwechsel von Falko Götz auf Karsten Heine. Der vor dem Spiel beim VfL Bochum von den Amateuren zu den Profis beförderte 52-jährige Heine – trotz Glutsonne in schwarzer Trainingskluft – konnte es bei 30 Grad im Schatten nicht warm genug sein. Seine Mannschaft sei „kalt erwischt“ worden, aber sein Team sei „aufgestanden“. Dass selbst die Stimmung in der Hertha-Auswahl nun heiter wird, versprach Mittelfeldler Pal Dardai: Er will dem neuen Trainer „alles glauben, was er sagt“.
Das Bochumer Binnenklima ist frostiger – schon vor der Partie. Zwar widmete der Verein den gut besuchten Heimspieltag seinen Fans, besonders dem traditionsreichen Club der „Bochumer Jungen“ von 1972. Doch statt Fußballharmonie wurde die Ostkurve zur Wandzeitung. Anhänger entrollten Spruchband um Spruchband, protestierten gegen die Kriminalisierung von Ultra-Fans. Seit einem eher harmlosen Scharmützel vor dem Derby gegen Dortmund dürfen einige Fans am Spieltag weder ins Stadion noch in die Kneipe – kontrolliert wird mit polizeilichen Hausbesuchen. Und auch auf dem Rasen zeigten sich die Fans glücklos: Wie viele Heimtore der VfL in der Bundesliga insgesamt erzielt habe, sollte ein Quizteilnehmer beantworten. Der schätzte 25, auf Nachfrage 20 Tore – was in 31 Spielzeiten eine dürftige Ausbeute wäre.
Es gibt eben Tore, die besser nicht fallen, meint jedenfalls Bochums Trainer Marcel Koller. Die frühe Führung für den VfL gegen Berlin sei wie „Gift“ gewesen. Die druckvolle Kombination über Theofanis Gekas, Joel Epalle und wiederum Gekas in der ersten Spielminute brachte dem Griechen zwar sein 17. Saisontor, der Mannschaft aber kein Glück. Dennis Grote traf noch das Lattenkreuz, danach versuchten sich die VfLer an Sommerfußball alter Schule.
„Bei diesen Temperaturen“, erklärte VfL-Coach Koller hinterher, als gehe das mit der Wärme schon vorüber, hätten die seinen darauf gesetzt, die Hertha anrennen zu lassen. Doch die altbackene Kontertaktik ging nicht auf, auch weil einige Bochumer dem Hitzschlag näher waren als dem gegnerischen Torraum. Bochums defensiver Mittelfeldspieler Christoph Dabrowski musste in der ersten Halbzeit sechsmal Wasser nachfassen. Weil auch Thomas Zdebel zu oft am Wasserbeutel saugte, verabschiedete sich der VfL vom zuletzt erfolgreichen Kompaktfußball – und die Berliner Einzelspieler kamen leicht bis zum Strafraum. Bis zur Pause verhinderten nur Bochums Torwart Jaroslav Drobny und ein zu lascher Elfmeterversuch von Marko Pantelic den Ausgleich.
Dass es in der zweiten Hälfte gleich drei Berliner Treffer wurden, lag an den Hochtemperatur-Akteuren Christian Gimenéz, Gilberto und Chinedu Ede, und an Regisseur Yilidiray Bastürk. Nein, das sei für ihn kein besonders Spiel mehr, meinte der Ex-Bochumer – dafür machte der Türke aus Herne ein besonders gutes. Gewohnt mürrisch wollte Bastürk zum Abstiegskampf wenig sagen. Nur das: „Wir müssen noch ein Spiel gewinnen. Und das schaffen wir“. Gelingt das den Herthanern gegen Dortmund, könnten sie ihr „dickes B. an der Spree“ (Seeed) genießen, die Saison wäre abgehakt.
Bochum hingegen hat wieder den „Sprung vom Strich“ verpasst, so Trainer Koller. Abwehrmann Philip Bönig grübelte vor der Kabine, ob es die sechste oder siebte verpasste Chance war. Die nächste gibt es jedenfalls kommende Woche in Frankfurt. Bleibt es beim Hitzehoch hat Bochum keine gute Karten. Ob der VfL auf den Klimawandel gut vorbereitet wäre? „Offenbar nicht“, raunte Koller. Der Vereinssprecher machte anders Hoffnung: Das nächste Heimspiel gegen Schalke 04 finde am Freitagabend statt.
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