„Das Regime tötet sein Volk“

SYRIEN Die Demonstranten sind jung, pragmatisch und fordern das Ende des Einparteiensystems. „Wenn wir in sechs Monaten freie Wahlen erreichen, wäre uns die Revolution gelungen“, sagt der syrische Dissident Yassin Haj Saleh, der sich im Land versteckt hält

BERLIN taz/dpa | Yassin Haj Saleh lebt im Untergrund und wechselt regelmäßig sein Versteck. Der prominente Dissident hat Angst, dass ihn die Sicherheitsdienste festnehmen, schließlich hat der heute 50-Jährige bereits 16 Jahre seines Lebens in Haft verbracht.

Freie journalistische Berichterstattung aus Syrien ist derzeit unmöglich – weder Pressefotos noch gesicherte Informationen gelangen aus dem Land heraus. Der taz ist es gelungen, mit Saleh zu sprechen. Er schildert seine Eindrücke aus dem abgeschotteten Land, schätzt Stärke und Möglichkeiten der Opposition ein. Und er berichtet von seinen ganz persönlichen Erfahrungen und Ängsten: „Ich rechne in jedem Moment damit, dass sie mich erwischen“, sagt er.

Die Demonstrationen in dem Land gehen unterdessen weiter: Hunderte Frauen demonstrierten gestern in Banias gegen die jüngste Verhaftungswelle des Regimes. Sie verlangten die sofortige Freilassung aller Gefangenen, berichteten Aktivisten. Der Protest folgte einer ähnlichen Aktion in der Nacht zuvor, als rund 200 Menschen in Damaskus gegen die „Belagerung“ mehrerer Städte durch das Militär demonstrierten. Die Sicherheitskräfte trieben sie auseinander und nahmen mehrere Teilnehmer fest, meldete die Exilorganisation Syrische Menschenrechts-Beobachtungsstelle.

Syrische Truppen sind in den vergangenen Tagen mit gepanzerten Verbänden in mehrere Vorstädte von Damaskus sowie in die Städte Homs, Banias und Daraa eingerückt. Sie sichern eine massive Verhaftungswelle durch Polizei und Geheimdienst ab, bei der mutmaßliche Teilnehmer und Sympathisanten der seit fast zwei Monaten währenden Proteste bei Hausdurchsuchungen abgeholt werden. Laut Menschenrechtsaktivisten wurden bislang 8.000 Menschen verhaftet oder verschleppt.

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