Eine Delikatesse für Bestimmer

STIEL & HUT Noch bis zum ersten Frost haben Pilze Hochsaison. Sammler sollten einiges beachten. Wer will, kann einige Baumpilze auch in Bioqualität vom Züchter kaufen

Züchter:

■ Pilzhof Dr. Schulz, Dorfstraße 16, Krummensee, Hofladen jeden Freitag und Samstag von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Am 3. Oktober Erntedankfest mit Pilzberatung, www.pilzhof.de

■ Bio-Edelpilze aus der Altmark auf dem Wochenmarkt in der Markthalle Neun, Dienstag, Freitag und Samstag 10–18 Uhr sowie auf dem Streetfood Thursday, Eisenbahnstraße 42/43, Kreuzberg, www.bioedelpilze-altmark.de Sachverständige:

■ Deutsche Gesellschaft für Mykologie, www.dgfm-ev.de

■ NABU Landesverband Berlin, berlin.nabu.de/tiereundpflanzen/pilze

■ Elisabeth Westphal, Büro der Grünen Liga, Prenzlauer Allee 8, Montag bis Mittwoch 9–15 Uhr oder donnerstags auf dem Ökomarkt am Kollwitzplatz, Telefon 44 33 91 48. Termine für ihre Pilzwanderungen unter www.grueneliga-berlin.de Literatur:

■ Tanja Böhning, Andreas Gminder: Handbuch für Pilzsammler: 340 Arten Mitteleuropas sicher bestimmen. Mit Rezepten zu den beliebtesten Speisepilzen. Kosmos Verlag, 19,99 Euro. (us)

VON ULRIKE SCHATTENMANN

Vier Köpfe beugen sich über einen Pilz, der appetitlich duftet und weiße Flöckchen auf der braunen Haube hat. „Keine Riefen“, ruft Elisabeth Westphal, zaubert ein kleines Messer aus der Tasche und zieht vorsichtig etwas Haut vom weißen Stiel ab. Darunter bleibt das Fleisch rosa. Ein gutes Zeichen.

Die Ernährungsberaterin ist eine der wenigen Pilzsachverständigen in Berlin. Zu ihr kommen Pilzsammler, die sich nicht ganz sicher sind, ob das, was sie beim Waldausflug gefunden haben, auch ohne Bedenken in der Pfanne landen kann. Oft sehen sich genießbare und giftige Sorten nämlich täuschend ähnlich. Oder anders ausgedrückt: Zwischen dem schmackhaften Perl- und dem gefährlichem Pantherpilz liegen nur ein paar Riefen. So heißen die feinen Rillen am Rande des Huts, die aussehen wie mit dem Kamm gezogen. „Beim Pantherpilz ist die Knolle vom Stil zudem deutlich abgesetzt, und das Fleisch weißlich gefärbt“, erklärt Westphal, die auch regelmäßig geführte Pilzwanderungen ins Berliner Umland anbietet.

Sie rät allen Pilzsuchern, die sich unsicher sind, ein gutes Pilzbuch mit in den Wald zu nehmen. Es sollte einen Bestimmungsschlüssel enthalten – also die verschiedenen Merkmale aufführen, anhand derer man Pilzsorten unterscheiden kann: Ist der Hut glockig, trichter- oder eiförmig? Hat der Stiel ein Netzmuster, ist er glatt oder faserig? Hat der Pilz eine Knolle? Wie sehen die Lamellen aus? Ein Hinweis auf die Sorte kann auch der Baumpartner des Pilzes sein: Morcheln wachsen gerne unter Eschen, Maronen lieber im Nadelwald. Geruch oder Geschmack sind keine Kriterien, warnt Westphal. Der grüne Knollenblätterpilz etwa duftet verführerisch nach Honig und schmeckt mild, ist aber tödlich giftig.

Das sollte aber niemand vom Sammeln abschrecken. Denn nur sehr wenige der 1.500 Sorten, die in und um Berlin wachsen, sind so gefährlich. Außerdem ist es die einzige Möglichkeiten, die verschiedenen Geschmacksnuancen von Wildpilzen zu erleben – von nussig-mild (Maronen), erdig (Steinpilz) bis säuerlich (Sandröhrling) oder fleischartig (Parasol). Viele Wildpilze lassen sich nicht züchten, und in Deutschland ist das Sammeln nur in kleinen Mengen für den Eigenbedarf erlaubt. Händler brauchen eine Sondergenehmigung. Daher findet man frische Pfifferlinge aus deutschen Wäldern nur vereinzelt auf Wochenmärkten. Die meisten kommen von weither, aus Polen, Weißrussland oder Litauen, wo ganze Dörfer vom Pilzesammeln leben.

Wildpilze können auch heute noch, fast 30 Jahre nach dem Unglück von Tschernobyl, radioaktiv belastet sein. Nicht nur die aus Osteuropa: So war Bayern stärker vom radioaktiven Niederschlag betroffen als Litauen oder die meisten Regionen Polens. In Brandenburg besteht aber wenig Grund zur Sorge. Es gehört laut Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zu den am geringsten von Strahlung betroffenen Bundesländern.

Rund 1.500 Sorten wachsen in und um Berlin, ein Pilzbuch gibt Orientierung

Wer trotzdem auf Nummer sicher gehen will, kann auf Zuchtpilze zurückgreifen. Ronald Schulz ist einer der wenigen Pilzzüchter der Region, die nach Biostandards arbeiten. Er kultiviert auf seinem Pilzhof im brandenburgischen Krummensee Shiitake, Austern- und Kräuterseitlinge, also Baumpilze, die auf Holz wachsen, genauer gesagt auf einem Substrat aus einheimischen Buchenholz. Gerade Shiitake-Pilze, die man hierzulande höchstens als getrocknete Zutat in chinesischer Glasnudelsuppe kannte, haben in den letzten Jahren eine kulinarische Karriere hingelegt. Ihr hellbraunes Fleisch ist fest und saftig, sie schmecken gedünstet, gebraten und sogar roh, in hauchdünne Scheiben geraspelt, etwa als Zutat für Salat.

Feinschmecker können aber auch in der Markthalle Neun bei Vasyl Shvedyk vorbeischauen. Der Pilzzüchter reist viermal pro Woche 150 Kilometer aus der Altmark nach Berlin, um seine Edelpilze zu verkaufen. Auch er zieht seine Pilze ohne chemische oder andere künstliche Zusätze. Allein schon der Anblick ist verlockend: weiße Igelstachelbärte und muschelförmige Austernseitlinge sind dekorativ in Holzkisten gestapelt. Beide Pilze eignen sich gut zum Panieren und sind bei Vegetariern beliebt. „Der Austernseitling wird wegen seines Geruchs und Geschmacks auch Kalbfleischpilz genannt“, sagt Shvedyk. Er hat auch eher seltene Zuchtpilze im Angebot, den Rosenseitling etwa, der wie gebratener Speck schmeckt, oder den Limonenseitling, einen zartgelben Pilz mit fruchtigem Aroma. Man kann ihn sich, gedünstet mit ein paar Spritzern Zitronensaft, gut zu Fisch vorstellen.

Es gibt zig Möglichkeiten, Pilze zu genießen, als Beilage, in Risotto, der Suppe oder auf dem Flammkuchen. Man kann sie an der Luft trocknen und zu einem würzigen Pulver mahlen, das Suppen und Saucen verfeinert. Angebraten und über Nacht in einer Marinade aus Öl, Weißweinessig, Zitrone, Senf, Salz und Pfeffer eingelegt, sind sie etwa einen Monat haltbar. Vasyl Shvedyk hat seine Seitlinge, zusammen mit gerösteten Mandeln, Arganöl und Honig, sogar zu einem nussigen Brotaufstrich püriert. Am liebsten, sagt er, mag er aber die puristische Variante, weil da der markante Eigengeschmack am besten zur Geltung kommt: Pilze schneiden, putzen, mit angeschwitzten Zwiebelchen, einem Hauch Knoblauch und etwas Butter in die Pfanne. Dazu einen Toast, sonst nichts.