Einer muss es ja machen

SPD-KANDIDAT SALEH

Das Phänomen ist nicht neu: Wenn Politiker zu Entscheidungsträgern werden, handeln sie gerne mal entgegen den Erwartungen, die mit der Farbe ihrer Partei verknüpft werden – wie um zu beweisen, dass sie auch anders können: Es war Schwarz-Gelb, das 2011 den Atomausstieg besiegelte; Rot-Grün schickte 1999 Tornados ohne UN-Mandat nach Belgrad.

Der sozialdemokratische Komplex, der so oft in Kriegsgeheul und Law-and-Order-Politik mündet, ist viel älter. Bei Raed Saleh liegt die Sache allerdings noch ein bisschen anders: Der Spandauer, der am 11. Dezember gerne auf Klaus Wowereits Sessel Platz nähme, tut alles, um jeden Verdacht zu zerstreuen, Migranten, aufmüpfige zumal, könnten bei ihm, dem im Westjordanland Geborenen, einen noch so winzigen Extrabonus haben. Deshalb markiert er den starken Mann.

Das ist jetzt zugegebenermaßen küchenpsychologisch. Aber warum sonst erwähnt Saleh immer wieder, wie wichtig ihm Recht und Gesetz sind? Warum sucht er den Schulterschluss mit Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky? Und warum schreibt er Anfang der Woche folgenden Satz in sein Bewerbungsschreiben an die 17.000 SPD-Mitglieder? „Wenn wir verlangen, dass Jugendliche Regeln einhalten, dann müssen wir Recht und Gesetz in Berlin auch jeden Tag und an jedem Ort durchsetzen. Darum wird es mit mir keinen zweiten Oranienplatz geben.“ Es ist der einzige fett gedruckte Satz in diesem Brief.

Nein, ein ordnungsliebender Sozi ist kein Widerspruch in sich. Salehs Betonung des Themas fällt dennoch auf. Vielleicht ist der Grund aber noch komplexer: Es könnte seine Strategie sein, gegen den populäreren, politisch erfahreneren und rhetorisch versierteren Michael Müller zu punkten. Vielleicht unterstellt Saleh Teilen seiner Parteibasis zu Recht das folgende Denkmuster: Wenn einer von uns mal so richtig für Leitkultur sorgt, dann der, von dem man es am wenigsten erwartet. CLAUDIUS PRÖSSER