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Usbeke stürzt Weltwunder

Nikolai Valuev hat Pech: Kaum trifft der Hulk aus St. Petersburg zum ersten Mal auf einen ordentlichen Boxer wie Ruslan Chagaev, ist er auch schon den WBA-Weltmeistergürtel los

AUS STUTTGART BERTRAM JOB

Manchmal ist der Triumph ein grüner, brokatverzierter Mantel. Einmal ließ Erkinbay Kutibaev sich von den Sicherheitskräften am Ring noch kurzfristig zurückhalten. Dann aber war der Sportminister der Republik Usbekistan, früher selbst ein mehrfacher Thaibox-Champion, nicht mehr aufzuhalten. Sekundiert von einigen weiteren Würdenträgern aus Taschkent, enterte der drahtige Mann das Seilgeviert, um dem neuen Box-Weltmeister Ruslan Chagaev in das grün schimmernde Textil einzuwickeln. Es passte zu dem funkelnden Gürtel eines Champions der World Boxing Association (WBA), als hätten die Offiziellen von Weltverband und Regierung sich vorher darauf geeinigt. Der so genannte „Tschapan“ wird bei Hochzeiten ebenso wie bei wichtigen Empfängen und Auszeichnungen verliehen. Und deshalb symbolisierte er an diesem denkwürdigen Samstagabend in Stuttgart die Euphorie einer ganzen Nation. 15 bis 20 Millionen Usbeken hatten per Direktübertragung mitverfolgen können, wie einer der ihren erstmals Profi-Weltmeister im Schwergewicht werden konnte.

Ruslan Chagaev, in den Neunzigern bereits Amateur-Weltmeister, dürfte mit seinem Punktsieg über den russischen Titelverteidiger Nikolai Valuev endgültig zu einer nationalen Sportikone aufgestiegen sein. Die Auswirkungen seines 23. Erfolgs im 24. Profiduell (1 Unentschieden) reichen jedoch weit über sein Herkunftsland hinaus. Mit dem allgemein erwarteten Sieg Valuevs hätte sich in absehbarer Zeit wohl ein „Megafight“ zwischen dem Petersburger Giganten und dem konkurrierenden IBF-Champion Wladimir Klitschko anbahnen lassen. Dieser Kampf, der um den gesamten Globus gegangen wäre, ist fürs Erste jedoch geplatzt, denn „Ruslan hat es ihnen allen verdorben“, wie dessen Trainer Michael Timm sich freute.“

Die Mehrheitsentscheidung der drei Punktrichter, die im Ergebnis bedenklich weit auseinanderlagen (114:114, 117:111, 115:113), war nicht zuletzt auch das Verdienst des Übungsleiters. Über Jahre hinweg hat Timm den wuchtigen Rechtsausleger, der sich nur zu gerne auf seine Schlagkraft verließ, zu einem recht kompletten, taktisch gereiften Profi umfunktioniert. Und auch für diesen Samstag gab er seinem Schützling exakt die richtige Strategie auf den Weg.

Dem um 28 Zentimeter und 41 Kilo überlegenen Valuev begegnete Chagaev nicht als „weißer Mike Tyson“, wie sie ihn mal getauft hatten, sondern als ebenso kluger wie mutiger Konzeptboxer. Er gab den David, der Goliath an die Ränder und in die Ecken lockte, um ihn dort ein ums andere Mal abzukontern. Das war noch nicht so überzeugend, als Valuev das Geschehen in den ersten Runden diktierte und Chagaev sehr verhalten begann.

Mit dem zweiten Drittel des ungleichen Duells aber setzte der 28-jährige Herausforderer die Erkenntnisse aus dem Studium seines Gegners immer besser um. So spielte der passabel agierende Russe bald die ihm zugedachte Rolle im Drehbuch von Chagaev/Timm – und setzte ausdauernd, aber meist vergeblich seinem Pflicht-Herausforderer nach. Eine lädierte Schulter und die unüberhörbare Schelte seines armenischen Trainers Manuel Gabrielian setzten dem russischen Riesen im weiteren Verlauf immer stärker zu. „Sehr viele Fehler“ und eine stetig nachlassende Beinarbeit warf sich Valuev später vor. Außerdem, so zeterte der Trainer, habe er „viel zu wenig ausgeteilt“. Aber wie trifft man ein in Brusthöhe pendelndes, stets bewegliches Ziel?

Es war der Fluch des Titelverteidigers, dass er auf einen Gegner traf, der seine boxerischen Schwächen wie mit dem Leuchtstift markierte. „Ich bin klein“, beschied Chagaev in bedächtig vorgetragenem Deutsch, „aber ich bin giftig.“ Und dann: „Heute mein Tag. Heute ich besser.“ Davids Glück war das Pech der Impressarios, die den Showdown zwischen Valuev und Klitschko schon hochgerechnet hatten. „Heute Abend sind vielleicht 30 bis 100 Millionen Euro geplatzt“, klagte ein Insider aus dem Camp des Verlierers.

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