Granate gegen Kritiker

Regimekritischer serbischer Journalist entgeht nur knapp Anschlag. Präsident Tadić: „Attacke auf den ganzen Staat“

In der Nacht auf Sonntag ist im Zentrum Belgrads vor dem Schlafzimmerfenster des bekannten serbischen Journalisten Dejan Anastasijević eine Handgranate explodiert. Nur durch Zufall blieb er unversehrt. Von der Kraft des, wie die Polizei erklärte, „außergewöhnlich“ starken Sprengsatzes wurden umliegende Autos beschädigt. „Drohungen gehören in Serbien einfach zum Job“, sagte Anastasijević gestern der taz. Doch diesmal müssten seine Texte jemandem „besonders auf die Nerven gegangen sein“. Dies sei ein Terroranschlag auf freie Medien, erklärte der serbische Journalistenverband. Präsident Boris Tadić sprach von einer „Attacke auf den gesamten Staat“.

Anastasijević gehört zu den wenigen serbischen Journalisten, die über von Serben begangene Kriegsverbrechen, die Verbindung der serbischen Behörden zum Massaker in Srebrenica, der Notwendigkeit der Vergangenheitsbewältigung und die Verflechtung der Politik mit dem organisierten Verbrechen schreiben. „Jemand hat sich wirklich Mühe mit diesem Anschlag auf mich gegeben“, sagte Anastasijević. Denn er sei gar nicht dort, wo er wohnt, gemeldet. Überrascht sei er jedoch nicht besonders, schließlich herrsche in Serbien eine allgemein aufgeheizte Stimmung, in der die Bürger wieder in „Patrioten und Verräter“ aufgeteilt würden und nationalistische Kräfte zur „entscheidenden Schlacht“ für die Verteidigung des Kosovo aufriefen.

Der Mordversuch an Anastasijević wird direkt in Zusammenhang gebracht mit dem Urteil des serbischen Gerichtshofs für Kriegsverbrechen gegen die Mitglieder der serbischen paramilitärischen Einheit „Skorpione“, die 1995 in Bosnien sechs Muslime aus Srebrenica hingerichtet und das auf einem schockierenden Video aufgezeichnet haben. Einer der „Skorpione“ wurde freigesprochen, ein anderer zu fünf Jahren Haft und nur zwei zu Höchststrafen von zwanzig Jahren verurteilt.

Anastasijević kritisierte vergangene Woche das Urteil als eine Beleidigung für die Opfer. Er wies darauf hin, dass sich die Richter besondere Mühe gegeben hätten, die „Skorpione“ als eine selbständige, außer Kontrolle geratene Einheit darzustellen. Anastasijević dagegen behauptete, dass die „Skorpione“ Teil des Systems gewesen seien und ihre Befehle von einer höheren Instanz erhalten hätten.

Erst vergangene Woche drohten serbische Neonazis dem Vorsitzenden des unabhängigen Journalistenverbandes der Vojvodina, Dinko Gruhonjić, mit dem Tod. Generell sind zahllose Morde an Journalisten während der Regierungszeit von Slobodan Milošević bis heute nicht geklärt. Alle Spuren führten zum serbischen Geheimdienst, der immer noch nicht reformiert ist. ANDREJ IVANJI, BELGRAD