Kredite sollen globale Slumkrise lösen helfen

Neue Wege des UN-Siedlungsprogramms Habitat im Kampf für menschenwürdige Wohnungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, woher das Geld kommen soll. Habitat-Chefin Tibaijuka glaubt nicht an eine Lösung mit privaten Banken

NAIROBI taz ■ Anna Tibaijuka ist eine Kämpferin. Als eine von wenigen afrikanischen Frauen hat es die Tansanierin bis ganz nach oben geschafft – an die Spitze des Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen, UN-Habitat. Dass ihr Kampf sich wie der gegen eine Hydra ausnimmt, stachelt sie an: „Wir haben einen Balanceakt vor uns: Wir müssen die Bevölkerung in den Städten versorgen und gleichzeitig verhindern, dass die städtische Umwelt kollabiert.“ Ab heute treffen sich Delegierte aus gut 150 Ländern in Kenias Hauptstadt Nairobi zum Regierungsrat, der alle zwei Jahre tagenden Hauptversammlung von UN-Habitat. Und Tibaijuka wird dort weiter kämpfen – für mehr Geld, aber auch für das Überleben des Programms.

Täglich fliehen weltweit Zehntausende vom Land in die Städte, mehr als eine Milliarde Menschen leben heute unter erbärmlichen Bedingungen in Slums. In zwanzig Jahren werden es trotz aller Anstrengungen wohl doppelt so viele sein.

„Städte brauchen günstige Darlehen, mit denen sie einfache Unterkünfte für ihre Bevölkerung finanzieren können. Hilfsgelder alleine reichen nicht, um die Slumkrise zu bewältigen“, sagt Tibaijuka. Ihr Ziel ist, dass die schon 1972 geschaffene Habitat-Stiftung mit ausreichend Kapital für solche Kredite ausgestattet wird. „In den Slums hat der Markt versagt. Wo die private Wirtschaft auftaucht, beutet sie die Ärmsten systematisch aus.“

Tatsächlich leben in den Slums von Kibera mehr als eine Million Menschen auf einem Raum, der dem der sechs Golfplätze Nairobis entspricht. Mehr als vier von fünf Slumbewohnern zahlen für ihre Bretterbuden ohne Wasser, Abwasser oder Strom Miete. „Die ist so hoch, dass ein Vermieter im Slum nach neun Monaten seine Kosten gedeckt hat und Reingewinn macht.“ In anderen Vierteln der kenianischen Hauptstadt dauert das gut 15 Jahre. Auch prominente Politiker gehören deshalb – nicht nur in Kenia – zu den Großgrundbesitzern in den Slums.

Dass normale Mieterrechte in informell errichteten Siedlungen nicht gelten, macht das Geschäft noch lohnender. Wenn Slums aufgewertet werden, werden die Mieter durch zahlungskräftigere ersetzt. Wo Slums noch lohnenderen Bauprojekten im Weg stehen, reißen Bulldozer die Wohnstätten ohne Vorwarnung ein – wie zuletzt in Sambia und Simbabwe.

„Manche Regierungen wünschen sich Wolkenkratzer und glitzernde Business-Distrikte, aber wer seine Städte entwickeln will, muss seiner Bevölkerung erst mal ein Dach über dem Kopf verschaffen“, sagt Tibaijuka. Mit solchen Thesen macht sich die UN-Ökonomin auch bei ihrer Hausmacht, den Entwicklungsländern, unbeliebt. Noch kritischer sind die Vertreter der Industrieländer. „Parteilichkeit zu Gunsten der Entwicklungsländer“ machen europäische Delegierte bei UN-Habitat aus.

Seit Jahren fordern Länder wie Deutschland eine Fokussierung der kleinen Organisation. Dass Tibaijuka stattdessen eine Ausweitung auf Finanzgeschäfte propagiert, kommt ebenso schlecht an wie ihre Marktkritik. Beim Regierungsrat, der bis Freitag ein Strategiepapier für die nächsten Jahre verabschieden soll, zeichnet sich deshalb ein handfester Streit ab. Unklar ist, ob die Entwicklungsländer einer Strategie zustimmen, die ohne die Stiftung auskommt.

Ohne Zusammenhalt im eigenen Laden dürfte UN-Habitat es aber besonders schwer haben, eine existentielle Hürde zu nehmen: die UN-Reform, die die Zusammenlegung und Auflösung von UN-Organisationen vorsieht. In dieser Woche will Generalsekretär Ban Ki Moon einen neuen Entwurf vorlegen. Darin, so heißt es, kommen die Worte „Slums“ und „Habitat“ nicht mehr vor. MARC ENGELHARDT