Mit harter Hand

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Für einige Demonstranten endete ihre Reise nach Sankt Petersburg bereits auf dem Bahnhof der Newa-Stadt. Ein massives Polizeiaufgebot empfing gestern die Aktivisten aus Moskau und nahm mehr als zwanzig auf der Stelle fest. Unter ihnen war auch Marina Litwinowitsch, Mitglied der Vereinigten Bürgerfront (VB) und enge Mitarbeiterin des VB-Vorsitzenden Garri Kasparow.

Wie am Vortag in Moskau hatten die Behörden die Route des „Marsches der Andersdenkenden“ in der nordrussischen Stadt nicht genehmigt. Lediglich eine Kundgebung auf einem Platz hatte man erlaubt. Auf die 300 Teilnehmer warteten mehrere Hundertschaften Polizei, die in Doppelreihen den Platz abschirmten. In den Seitenstraßen standen Mannschaftswagen und Wasserwerfer. Die geballte Staatsmacht hatte aufgerüstet, als gelte es einen Putsch zu vereiteln. Dabei handelte es sich nur um eine Minderheit, die ihren Protest gegen den Abbau demokratischer Freiheiten artikulierte.

Nach der Kundgebung prügelten Miliz und Einheiten des Innenministerium auf Demonstranten ein und nahmen Dutzende fest. Die Innenbehörde hatte sich bereits dadurch provoziert gefühlt, dass Demonstranten helle Kleidung trugen: Dadurch sollten „kleine Kratzer und Blutspuren im Falle eines Zusammenstoßes besonders effektiv in Szene gesetzt werden“.

Bereits am Samstag waren in Moskau Sicherheitskräfte brutal gegen die Teilnehmer des ersten Marschs der Andersdenkenden vorgegangen. Einige Dutzend, unter ihnen auch Passanten, erlitten Kopfverletzungen; 9.000 Sicherheitsbeamte verwandelten die Innenstadt der russischen Hauptstadt in ein Heerlager. Sie waren aus verschiedenen Regionen Russlands zusammengezogen worden, was gelegentlich groteske Folgen hatte. So berichtete der Radiosender Echo Moskau, dass Busse voller festgenommener Demonstranten auf der Suche nach den zuständigen Polizeirevieren stundenlang durch die Innenstadt irrten.

Nach offiziellen Angaben nahm die Miliz in Moskau 250 Personen fest. Der Veranstalter des Marsches, das „Andere Russland“, geht von deutlich mehr aus. Hinter der Organisation steht ein breites Spektrum unterschiedlichster oppositioneller Kräfte (siehe Text unten).

Zwischen 2.500 und 5000 Demonstranten sollen nach unterschiedlichen Schätzungen auf den Beinen gewesen sein. Das starke Polizeiaufgebot vereitelte jedoch den Versuch der Demonstranten, durchs Zentrum zu ziehen. Dennoch hatte der Marsch mehr Zulauf als frühere Aktionen der Opposition.

Die Frontfigur des Anderen Russlands, Garri Kasparow (siehe Porträt), wurde noch vor Beginn der Veranstaltung verhaftet und auf einem Polizeirevier festgehalten. Als sich vor dem Gebäude Demonstranten versammelten, ging die Miliz mit unnachgiebiger Härte gegen sie vor. Am späten Abend verurteilte ein Gericht den Schachweltmeister zu einer Ordnungsstrafe von 1.000 Rubeln (32 Euro). Zunächst sollte Kasparow wegen des Skandierens von „Antiregierungsparolen“ verurteilt werden. Da sich der Milizionär im Zeugenstand jedoch in Widersprüche verwickelte, sei Kasparow nur die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration zur Last gelegt worden, berichtete seine Anwältin Jelena Lipzer.

Das zweite bekannte Gesicht des Anderen Russlands, der ehemalige Premierminister Michail Kasjanow, entging der Inhaftierung. Sicherheitskräfte versuchten Kasjanow nach einer kurzen Rede festzunehmen, Leibwächtern gelang es aber, sie abzudrängen.

In den staatlichen Medien fand der Protestmarsch, von dessen Niederschlagung Bilder um die ganze Welt gingen, kein Echo. Wie immer beherrschten Loyalitätsveranstaltungen der Kremljugend und der traditionelle Wachwechsel der Kremlgarde das Programm.