Eine Stadt besteht aus Menschen

ARCHITEKTUREN DEHNEN Wie Wurzeln oder Blasen sehen die Gebilde des Raumlabors Berlin aus. Viele Projekte sind temporär und werden kulturell genutzt. Für das Tempelhofer Feld planen sie eine Weltausstellung 2012

Matthias Rick und Markus Bader wirken, als könnten sie Menschen schwierige Dinge schnell erklären

VON CARSTEN JANKE

Wenn man in der Fabrik am Flutgraben in Treptow steht, kann man es nicht fassen. Das Architekturbüro Raumlabor hat internationale Aufträge bekommen und ist Gewinner wichtiger Wettbewerbe. Und hier in Treptow, in den ehemaligen Industrieräumen, bröckelt der Putz von der Wand. Auf dem Weg zum Büro im obersten Stock muss man an Fahrrädern und alten Schränken vorbei. Von der Decke hängen Spinnweben und eine ausgehängte Tür lehnt an der Wand, darauf der Raumlabor-Schriftzug. Hier befindet sich der Hauptsitz der Gruppe.

Im Büro ist alles licht und aufgeräumt. Matthias Rick und Markus Bader sind zwei der vierundzwanzig Raumlabor-Architekten, die für das stehen, was man eine „neue Stadtkultur“ nennen könnte. Planung für eine Stadt, die sich nicht nur nach abstrakten Vorschriften und aus finanziellen Interessen weiterentwickelt, sondern aus dem Mitmachen ihrer Bewohner. Die beiden wirken, als könnten sie Menschen schwierige Dinge schnell erklären.

Boote im Palast

Einen 18-geschossigen Plattenbau in Halle-Neustadt gestaltete Raumlabor in eine temporäre Hotelstadt um, in der eine Saison lang gelebt und Theater gespielt wurde. Eine U-Bahn-Station in Mülheim konnte mit ihrer Hilfe zum Bühnenbild einer Oper werden. Sie haben Baumhäuser für Innenstädte entworfen und den Palast der Republik vor seinem Abriss in ein Bassin verwandelt und mit Booten durchrudert. Zur Architektur-Biennale Venedig reisten sie letztes Jahr mit einem „Küchenmonument“, einer Kunststoffblase, in der getagt und gegessen werden konnte. In monotone Großstädte hinein haben sie Gebilde gebaut, die aussehen wie Wurzeln, Kristalle, Blasen oder Dickichte. Alles in allem haben sie den Begriff Architektur ziemlich weit ausgedehnt.

Für das nächste Jahr arbeiten sie an einer Weltausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Das Projekt geht der langfristigen Gestaltung des Tempelhofer Feldes voraus, für die zwei britische Architekturbüros im April den Zuschlag erhielten. Im Juni 2012 soll die Expo in Tempelhof eröffnen. Bis dahin werden 15 Pavillons gebaut. „Es wird keine nationale Leistungsschau werden wie in Schanghai oder Hannover. Es geht uns um Weltbilder.“ Deshalb soll es auch keine Länderpavillons geben, sondern Pavillons zu besonderen Themen: ein Pavillon der drei Welten, wo das Verhältnis zwischen Erster, Zweiter und Dritter Welt thematisiert wird, einer zu globalen Strukturen, ein anderer zu „imaginären Inseln“. Die Weltausstellung wird Teil der Pionierprojekte sein, die es seit 2010 auf dem Tempelhofgelände gibt und von denen sich die besten auf lange Sicht in Tempelhof ansiedeln sollen. „Tempelhof ist ein großer Schatz an freiem Raum, der sich gut als Diskussionsort eignet. Zum Beispiel darüber, welche Eigentümerstruktur für eine Stadt der Zukunft man sich wünscht“, sagt Markus Bader.

Das Recht der Bewohner auf ihre Stadt liegt beiden Architekten besonders am Herzen. Matthias Rick hat in den 90er Jahren selbst Häuser besetzt. Die Räumung der Liebigstraße 14 im Februar und das Ende der Bar 25 sind für ihn „nur die Spitzen des Eisbergs“. „Es lösen sich die sozialen Bedingungen auf, unter denen viele Projekte in der Stadt die letzten 25 Jahre bestanden haben.“ Im Mietshaus, in dem Matthias Rick wohnt, endet gerade nach 25 Jahren die Mietpreisbindung. „Der neue Investor möchte ganz schnell kleinteiliges Eigentum daraus machen.“ Solche Eingriffe behindern die Stadt. Bei der Bebauung von Tempelhof, wünscht er sich, soll es jedenfalls nicht so kommen.

Ein Dorf als Hochhaus

Eine Stadt bestehe nicht aus Gebäuden, sondern aus den Menschen in den Gebäuden, heißt es in einer Präsentation des Raumlabors. „Erst durch sie entsteht Urbanität.“ Besonders klar wird das an ihrem Projekt „Bang Bang“. Im Südkoreanischen ist Bang das Wort für Raum. In den südkoreanischen Städten gibt es Bangs für alles Mögliche. Im DVD-Bang kann man DVDs mit anderen schauen, das Jjimjil-Bang ist ein Badehaus, das Nori-Bang ein Karaokehaus. Und Bang Bang ist ein Raum für alles zusammen. Aus dieser Idee eines großen Gemeinschaftsraums entwickelte Raumlabor ein „Open House“, das im Oktober 2010 in Anyang bei Seoul eingeweiht wurde. Die Grundidee war, dem Turbo-Urbanismus in Südkorea und dem Hochhausboom etwas entgegenzusetzen. Also wurde ein traditionelles Dorf in Hochhausform gebaut, vertikal übereinanderliegend wie an einer Bohnenranke gewachsen. Darin ist heute Platz für alles: Teehaus, Gewächshaus, Werkstatt und Bar – eine soziale Skulptur, entstanden aus den Wünschen und der Arbeitskraft der heutigen Nutzer.

Eine Weltausstellung, ein Bang Bang, eine Blase – was auch immer das Raumlabor in der nächsten Zeit für Berlin bauen wird, sie sind froh, wieder hier arbeiten zu können, nach einigen Jahren mit Aufträgen vor allem außerhalb der Stadt. Das nächste Projekt ist die Markthalle in der Kreuzberger Pücklerstraße. Hier hat ihr Konzept gewonnen, das anstelle von Supermärkten einen modernen Wochenmarkt mit vielen kleinen Ständen vorsieht. Es war ein langer Weg zurück zu so einfachen Ideen.