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: Gülle und Scheißwetter: Wacken kommt ins Kino

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Wacken hat kein Kino. Das knapp 1.900 Einwohner starke Dorf hatte noch nie ein Kino. Aber seit 1990 steigt hier jedes Jahr das Wacken Open Air (W.O.A.), heute Deutschlands größtes Heavy-Metal-Festival mit rund 40.000 Besuchern. Jetzt hat Wacken auch einen eigenen Heimatfilm, nämlich „Full Metal Village“. Und deshalb hatte Wacken nun doch ein Kino, immerhin zwei Tage lang in der großen Schulsporthalle. Bevor die Wackener Bürger mit dem heutigen Kinostart bundesweit über die Leinwand flimmern, brachte Regisseurin Sung-Hyung Cho gestern und vorgestern den Film zurück zu seinem Protagonisten – dem kleinen Dorf mitten in Holstein.

„Wacken ist näher gekommen, die Landschaft ist immer schöner geworden. Es hat herzhaft nach Gülle gestunken, da dachte ich, ich bin wieder zu Hause“, sagte die Regisseurin Sung-Hyung Cho. Vor der Filmvorführung am Dienstag demonstrierte die seit 17 Jahren in Deutschland lebende Koreanerin, wie sie die dreijährigen Dreharbeiten in der Provinz ihrer Wahlheimat näher gebracht hatten. „Ich liebe Wacken. Ich hoffe, dass ihr auch den Film liebt“, beschwor sie die rund 400 Gäste, darunter die im Film portraitierten Wackener, aber auch Auswärtige wie den schleswig-holsteinischen Landesvater Peter Harry Carstensen. Der verkündete, Schleswig-Holstein sei dort, wo Deutschland am schönsten ist und dass dort originelle und großartige Menschen lebten. „Die Wackener und ihr Festival zeigen, dass es die Schleswig-Holsteiner schaffen, gleichzeitig traditionsverbunden und weltoffen zu sein“, sagte Carstensen. Heavy Metal Fan sei er nicht. Auf dem Festival im August werde er jedoch auch in diesem Jahr wieder erscheinen.

Ausgehuniform oder Sonntagsstaat war die angesagte Kleidung an diesem Abend. Schwarze Kapuzenshirts mit Beschriftungen wie W.O.A. oder auch AC DC hatten beinahe Seltenheitswert auf dem Event. Für dem Anlass angemessene Blasmusik sorgte der ebenfalls im Film verewigte Musikkorps der Freiwilligen Feuerwehr Wacken.

Der örtliche Landgasthof Zur Post kümmerte sich nicht nur um Essen und Trinken. Sein Inhaber, Hans-Jörn Arp, sitzt für die CDU im Landtag und hatte nach Auskunft der Produzenten fleißig in Kiel für den Film geworben.

Die Wege sind kurz, man kennt sich, und so erinnern die Kommentare und Lacher, mit denen die Kinogänger viele Szenen der Filmvorführung begleiten, an die familiäre Stimmung daheim vor dem Fernseher. „Da kann ich mich genau dran erinnern,“ „Das ist doch der …“, „Das war aber auch ein Scheißwetter.“ Am besten kommt der Film dort an, wo die Besucher ihre Nachbarn wiedererkennen. Ist den Protagonisten die eine oder andere gezeigte Szene peinlich, so gehen sie in der öffentlichen Stimmung des Abends darüber hinweg. Das aufmerksame Publikum schenkte dem Film eifrigen Applaus.

Ein wenig von der wirkungsvollen Penetranz, die die Interviews in Full Metal Village durchzieht, zeigte Sung-Hyung Cho, als Bürgermeister Axel Kunkel ihr das Wackener Gemeindewappen überreichte. Ob sie denn nicht lieber Ehrenbürgerin von Wacken werden könne, bittet Sung-Hyung schlicht. Mit keiner Wimper zuckt sie angesichts der Verlegenheit des Verwaltungschefs bei dieser ungebührlichen Frage. Ein „mal sehen“ entringt sie ihm schließlich.

Sung-Hyung kann sich sicher sein, dass ihr Werk Dorfgespräch bleibt: Die gestrige Vorstellung war nahezu ausverkauft, in der Kreisstadt Itzehoe läuft der Film ab heute in allen Vorstellungen.FLORIAN GERLACH

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