piwik no script img

ES KLINGELT AN DER TÜRDada denkt an uns

Nach all dem, was heutzutage in der Welt passiert

Es klingelt an der Tür. Ich öffne. Eine junge Frau steht davor, außerdem ein älterer Herr und ein etwa vierjähriges Mädchen. Sie lächeln mich an. Ich kann viele Zähne sehen. „Glauben Sie, dass Gott an uns denkt?“, fragt die junge Frau. „Das ist übrigens Selma“ sagt sie und schiebt das Mädchen nach vorne. Meine kleine Tochter kommt jetzt auch neugierig zur Tür. „Da, da“, sagt sie und zeigt nach oben. Da oben wohnt jemand Interessantes, das weiß sie. „Ich glaube nicht an Gott“, sage ich, „daher ist es mir wurscht, ob er an uns denkt.“ Meine Tochter macht große Augen, als ich die dargebotenen Prospekte abweise. „Dada“, sagt sie. Das Handy der jungen Frau klingelt. Vielleicht denkt sie, das war Order von ganz oben, denke ich und lächle sie teuflisch an. Der Mann hinter ihr sieht aus wie mein Onkel. Meine Tochter zeigt noch mal nach oben und sagt: „Dada.“ „Da oben wohnt Herr Karl“, erkläre ich. „Der hat ein Alkoholproblem“, sage ich. Die zwei Erwachsenen nicken, und Selma steckt sich ihren Daumen in den Mund. „Ich habe jetzt leider auch gar keine Zeit, mit Ihnen darüber zu diskutieren“, sage ich. Die drei lächeln noch breiter als vorher. Ich schließe die Tür, und in dem Moment höre ich den Mann leise sagen: „Dann werden wir sie brennen lassen müssen.“

Zwei Tage später, drei Uhr nachmittags, es klingelt an der Tür. Zwei ältere Herren stehen vor davor. „Guten Tag, ich bin Herr Sauer, und das ist Herr, äh“, sagt der Mann, der offensichtlich geklingelt hat. „Herr Wiesböck“, vollendet der Mann, der hinter ihm steht die Vorstellung. „Wir haben uns gefragt, nach all dem, was heutzutage in der Welt passiert, glauben Sie, dass Gott an uns denkt?“ Nicht schon wieder, denke ich. Meine Tochter kommt angewackelt, hält sich im Türrahmen fest und zeigt nach oben. „Dada“, sagt sie. Herr Sauer und Herr Wiesböck sind sichtlich beeindruckt. „Dada“, sagt sie und macht ihnen die Tür vor der Nase zu. MAREIKE BARMEYER

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen