Die Reue der Todesschwester

Zum Auftakt des Prozesses um die Patientenmorde in der Charité gesteht Krankenpflegerin Irene B. 4 von 6 Tötungen, „dem Wohle der Patienten entsprechend“. Kollegen bestätigen Burn-out-Verdacht

VON UTA FALCK

„Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit!“, sagt Irene B. unter Tränen zu ihrem früheren Vorgesetzten, der gestern als Zeuge vor dem Landgericht Berlin auftrat. Die angeklagte Krankenschwester, die zehn Jahre lang auf der kardiologischen Intensivstation in der Charité arbeitete, soll in der Zeit vom 28. Juni 2005 bis zum 2. Oktober 2006 sechs Patienten mit blutdrucksenkenden Medikamenten getötet haben. Weiterhin wirft ihr der Staatsanwalt zwei Mordversuche vor – ein Patient überlebte, bei einem weiteren blieb unklar, ob die 54-Jährige den Tod verschuldet hatte.

Vier der sechs Tötungen gab Irene B. gestern zu. Sie habe „dem Willen der Patienten entsprechend und zu deren Wohl gehandelt“, trägt Rechtsanwalt Röder für sie vor und deutet damit die Verteidigungsstrategie in Richtung „Tötung auf Verlangen“ an. Im Gegensatz zum Mord drohen dafür statt „lebenslänglich“ maximal fünf Jahre Haft. Die anderen vier Taten habe seine Mandantin nicht begangen.

Sie bedauere, dem Ansehen der Klinik geschadet zu haben. In der Haft habe sie erstmals Zeit und Ruhe, über ihr Leben nachzudenken. „Ich versuche, Gott dem Herrn mein Verhalten zu erklären“, so B. Dafür, dass die Angehörigen durch das Verfahren den Todesfall erneut durchleben müssen, bittet sie um Verzeihung. „Ich bedauere zutiefst, dass ich mit meiner Hand in das Schicksal von Menschen eingegriffen habe. Ich weiß jetzt, dass das eine Straftat war, und dafür werde ich büßen müssen.“

Nach Zeugenaussagen hatte es seit August 2006 auf der Station Gerüchte über das Verhalten der Schwester gegeben. Im Zusammenhang mit dem Tod eines 77-Jährigen hatte ein 42-jähriger Krankenpfleger eine „Merkwürdigkeit“ mitbekommen. Er hatte beobachtet, wie Irene B. dem Patienten „etwas in den Arm spritzte“, obwohl er keine Medikamente mehr bekommen sollte. Erst nach seinem Urlaub Anfang Oktober teilte er seinen Verdacht dem Stationsarzt mit. Unterdessen waren drei weitere Menschen, die Irene B. betreut hatte, gestorben. Daraufhin war sie festgenommen worden.

Warum er nicht gleich zur Polizei gegangen sei, will das Gericht immer wieder von ihm und seinen Kollegen wissen. Warum wartete er, bis wieder ein Mensch auf mysteriöse Weise starb? Warum verstrichen Tage, bis der Klinikdirektor und später der Dekan informiert wurden? Die Antworten klingen ähnlich: „Vertrauen ist die Basis unserer Arbeit“, so der Stationsarzt. Der Pfleger, der den Verdacht als erster hegte, formuliert es so: „Dort, wo täglich Leben gerettet wird, schwimmt doch keiner gegen den Strom.“ Außerdem hätte ein falscher Verdacht schwerste arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen, verteidigt sich der Stationsarzt.

Allen drei Kollegen sei aber aufgefallen, dass Irene B. seit etwa drei Jahren ausgebrannt wirkte. Ihre kinderlose Ehe kriselte und wurde im September 2006 nach 33 Jahren geschieden. Doch das Angebot, weniger zu arbeiten, wollte die Schwester nicht annehmen. Bei ihren Kollegen sei Schwester Irene nicht sehr beliebt gewesen. Neben ihrer Dominanz nervte die Kollegen vor allem ihr Singen und Pfeifen während der Arbeit. In den letzten Monaten vor ihrer Verhaftung habe sie die Patienten ruppig behandelt, schilderte ein Pfleger. Anerkennung erhielt sie vor allem für ihre gute Betreuung der Angehörigen der sterbenden Patienten.

Mordende Pflegekräfte sind kein Einzelfall. Oft sind es Mediziner, die dem Stress nicht oder nicht mehr gewachsen sind, so das Ergebnis von Studien.