EXPAT-SCHOTTEN IN BERLIN WOLLTEN DIE UNABHÄNGIGKEIT UND WURDEN BITTER ENTTÄUSCHT. MUSS MAN SICH DESWEGEN SCHULDIG FÜHLEN?
: Was soll der Geiz?

JACINTA NANDI

Stimmt es, dass die Schotten so geizig sind?“, fragt mich ein deutscher Kumpel. „Shhh!“, sage ich, und sehe mich panisch um, ob ihn jemand gehört hat. Wir sind in einer Kneipe am Referendumsabend. Später werden wir den Livestream der Ergebnisse sehen.

Um uns herum gibt es eine Million Schotten, die alle sehr geil auf die Unabhängigkeit Schottlands sind. Von den ganzen schottischen Expats in Berlin habe ich keinen einzigen gefunden, der gegen die Unabhängigkeit ist. Ich bin mir nicht sicher, ob es nur daran liegt, dass es in Berliner Expat-Kreisen nicht salonfähig war, das zuzugeben. Vielleicht haben sie weniger Angst vor finanziellen Problemen. Vielleicht siedeln aber auch gerade die aus, die sich sowieso nicht zu England zugehörig fühlen.

Die Schotten, die um mich herum sitzen, reden über Vergangenheit und Zukunft von Schottland. Sie reden leise, wütend, verbittert, würdevoll. Sie reden über ihre Unterdrückung durch die Engländer. Manche von ihnen werden regelrecht poetisch.

Es gibt nichts Geileres auf dieser Erde als einen poetischen, wütenden Schotten. Diese Sprache – so sexy und melodisch. Es entspannt, ihnen zuzuhören. Andere in der Kneipe reden auch poetisch, sagen aber dazwischen sehr oft, dass die Engländer Fotzen sind. Das ist auch geil, aber nicht ganz so entspannend. Sie sagen Sachen wie: „Ab morgen werden wir nicht mehr von den englischen Fotzen in Westminster regiert!“

Die ganze Zeit denke ich: „Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, ein weißer Mann zu sein – total schrecklich!“ Man weiß, dass es stimmt, dass man sich schuldig fühlen soll, dafür, dass man die Leute so böse unterdrückt hat – bei mir sind es die Schotten, bei weißen Männern die ganze Welt –, und man fühlt sich schuldig. Aber immer wieder kommt mir der Gedanke: „Ich habe dich doch gar nicht unterdrückt! Ich habe niemanden unterdrückt! Was kann ich denn dafür? Nichts!“

Tief in mir weiß ich natürlich, dass das nicht der Punkt ist, und fühle mich sogar noch schuldiger als zuvor. Ein schottischer Bekannter spendiert mir einen Whiskey und sagt, wenn die Schotten die englischen Fotzen morgen nicht loswürden, setze er nie wieder einen Fuß in dieses Land, nicht mal für die Beerdigung seiner Eltern. Ich sehe ihn an, lächele, nicke und denke: „Gott sei Dank, dass ich ein braunes Mädchen geworden bin! Ich könnte diese Schuld nicht jeden Tag aushalten.“

Mittwoch

Matthias Lohre

Konservativ

Donnerstag

Margarete Stokowski

Luft und Liebe

Freitag

Jürn Kruse

Fernsehen

Montag

Barbara Dribbusch

Später

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Jetzt ziehe ich den deutschen Bekannten raus auf den Bürgersteig. Wir rauchen und diskutieren leise, ob die Schotten geizig sind oder nicht. Ich erzähle ihm von der schottischen Mama einer Freundin, die immer Toilettenpapier von der Arbeit geklaut hat. „Es war Teil ihrer Lebensphilosophie“, erkläre ich. „Sie hat gesagt: Die klauen dir das Leben weg, du das Toilettenpapier und ein paar Kugelschreiber. Und immer, wenn du bei ihr aufs Klo gegangen bist, hat sie gerufen: „Keine Sorge, benutz so viel Toilettenpapier, wie du willst! Ich zahle sowieso nicht dafür!““

Mein deutscher Bekannter sieht verwirrt aus. „Also eher nicht?“, fragt er. „Ja, würde ich auch sagen.“ „Eher nicht.“