„Die Wirtschaft muss schrumpfen“

ÖKONOMIE Der Finanzwissenschaftler Helge Peukert fordert, vom Wachstumsdogma der Wirtschaft abzukehren. Doch er ist überzeugt: Die notwendigen Veränderungen lassen sich kaum durchsetzen

■ 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Universität Erfurt. Die zweite Auflage seines Buches „Das Moneyfest“ zur Finanzkrise erscheint diesen Oktober.

taz: Herr Peukert, Sie sind Finanzökonom und kritisieren das Dogma des stetigen Wirtschaftswachstums. Warum?

Helge Peukert: Ich bedaure, dass die offizielle Ökonomenzunft die Gefährdungen der Biosphäre nicht verstanden hat und sie theoretisch kaum bearbeitet. Die Biosphäre ist in der Lage, maximal drei Tonnen CO2 pro Mensch und Jahr zu absorbieren. Wir emittieren aber ein Vielfaches davon. Und die Hoffnung, Wachstum von Umweltbelastungen zu entkoppeln, hat sich nicht erfüllt. Das Grundrecht auf Konsum führt zu einer Übernutzung der Ressourcen und zur Vermüllung der Natur. Deswegen muss die Wirtschaft schrumpfen.

Und die Finanzbranche?

Der Geld- und Finanzsektor spielen heute eine integrale Rolle bei der Wachstumsgesellschaft. Zins und Zinseszins für Kredite zum Beispiel müssen aus einem Mehrprodukt erwirtschaftet werden. Das führt zwangsweise zu Wirtschaftswachstum. Außerdem versuchen alle Institutionen der Politik krampfhaft, eine gesundschrumpfende Stabilisierung der Wirtschaft mit allen Mitteln zu verhindern.

Angenommen, die Bundesregierung ließe sich vom Postwachstumskonzept überzeugen: Was sollte sie als Erstes verändern?

Zunächst müssten auf europäischer Ebene maximale Verschmutzungsniveaus festgelegt werden, unter anderem für CO2. Außerdem brauchen wir maximale Verbrauchsmengen zentraler Ressourcen wie Stahl oder Wasser. Um den Materialverbrauch drastisch zu reduzieren, müssten außerdem die Steuern hauptsächlich auf Energie und Ressourcen liegen – und nicht wie heute zu mehr als 50 Prozent auf dem Faktor Arbeit. Aber die Politikdarsteller sind am business as usual orientiert. Die Mehrzahl der Wähler will außerdem ihr kleinbürgerliches Konsumleben fortsetzen. Die Hauptbetroffenen der zu erwartenden Katastrophen – Tiere und Pflanzen, aber auch zukünftige Generationen – haben kein Wahlrecht.

Wo sehen Sie die ökonomischen Schwachstellen der Postwachstumsbewegung?

Manche Basiskonzepte liegen vor, zum Beispiel für ein alternatives Steuer- und Geldsystem. Sehr wenige Fachleute arbeiten aber in der Wissenschaft an Umsetzungsszenarien. Das liegt vor allem am Mangel öffentlicher Finanzierung und am fehlenden Willen, umzusteuern. Daher fehlen in vielen Bereichen konkrete Konzepte: Wie könnte man zum Beispiel ein System von Umweltzöllen gestalten, um soziales und ökologisches Dumping zu verhindern? Sollten sie sich bei Importen auf einzelne Produkte oder Branchen beziehen oder wären einfachere, länderspezifische Zölle besser?

Wird die Postwachstumsbewegung ihr Ziel erreichen? Die Bewegung ist wahrscheinlich zu brav und nett, um Wirkung zu zeigen. Man kann sich fragen, ob es nicht Formen zivilen Ungehorsams bedarf, die über „Guerilla Gardening“ hinausgehen. Wenn man sich die Zerstörungswut des ökonomischen Weltsystems anschaut, ist dann das Hoffen auf die Macht der bloßen Worte nicht ein Selbstbetrug? Eine zukunftsorientierte Ökoelite hat der orientierungslosen Mehrheit klarzumachen, wo es langgehen muss. Wir sind es unserem Planeten schuldig.

INTERVIEW: JOANNA NOGLY