Die unfreiwillige Staatsfeindin

Umida Nijasowa sitzt seit dem 21. Januar im Gefängnis. Die alleinerziehende Mutter eines zweijährigen Sohnes ist keine Terroristin. Sie ist nicht mal eine einflussreiche Oppositionelle, war für das herrschende Regime in Usbekistan nie eine Gefahr. Seit gut zehn Jahren arbeitet die 32-Jährige mit Journalisten und Menschenrechtsorganisationen in Usbekistan zusammen, darunter für Human Rights Watch: mal als Übersetzerin, mal als Assistentin. Hin und wieder schreibt sie selbst. Nijasowa ist engagiert, spricht etwas Englisch. Nach dem Massaker von Andischan, als Truppen im Mai 2005 einen Volksaufstand blutig niederschlugen, reicht das in Usbekistan aus, um als Staatsfeindin verfolgt zu werden.

Heute beginnt in der usbekischen Hauptstadt Taschkent der Prozess gegen Nijasowa. Ihr wird vorgeworfen, verfassungsfeindliche Schriften auf dem Computer ins Land geschmuggelt und illegal die Grenze überquert zu haben. Reporter ohne Grenzen und Wolf Biermann setzten sich für Nijasowa ein. Brüssel und Berlin verweisen auf den Menschenrechtsdialog mit dem Regime. Vergeblich. Die Geschichte ihrer Verhaftung erzählt vom Zynismus eines despotischen Staates.

Am 21. Dezember 2006 kehrt die Usbekin von einem Seminar in Kirgisien nach Taschkent zurück. Am Flughafen wird sie verhaftet, verhört, ihr Laptop beschlagnahmt. „Verfassungsfeindliche Schriften“ befänden sich darauf, sagen die Ermittler und erklären ihr, die weiteren Untersuchungen abzuwarten. Nijasowa weiß, was das bedeutet. Viele Menschenrechtler und Journalisten sitzen wegen geringer Vergehen in Haft. Eine faire Justiz gibt es nicht. Die Usbekin packt den Sohn unter den Arm und flieht über die grüne Grenze nach Kirgisien. Gerettet, aber heimatlos. Der Anwalt aus Taschkent überredet sie zur Rückkehr. „Alles ist in Ordnung“, surrt der Rechtsvertreter ins Telefon, die Staatsanwaltschaft werde kein Verfahren gegen sie eröffnen. Vom Exil aus, ohne eigene Wohnung, erscheint die Gefahr in Usbekistan nicht mehr so groß. In E-Mails und Gesprächen belügt Nijasowa sich selbst. „Ich habe doch nichts getan“, sagt sie. „Ich bin keine Gefahr.“ Nijasowa kehrt zurück, ohne Sohn.

Die Falle schnappt zu. Kurz hinter der usbekischen Grenze wird sie verhaftet. Triumphierend erklären die Ermittler, man habe ein Vergehen: Illegaler Grenzübertritt, das sei ja auch in Europa strafbar. Fieberhaft bastelt der Staatsanwalt seither an der Anklage, lud alle Journalisten und Menschenrechtler zum Verhör, die mit der Usbekin in Kontakt standen. Der heutige Prozess wird zum Schauprozess mit Nijasowa in der Rolle der Hauptangeklagten. MARCUS BENSMANN