„Wir verbiegen uns nicht“

THEATER Das Schauspiel Hannover will einerseits Kunst produzieren und andererseits die Zuschauerränge im Großen Haus füllen. Intendant Lars-Ole Walburg über seine Inszenierung des Erich-Maria-Remarque-Romans „Im Westen nichts Neues“ und die Macht des Publikums

■ 49, stammt gebürtig aus Rostock, reiste 1989 aus der DDR aus und ist seit 2009 Intendant am Schauspiel Hannover.  FOTO: DPA

INTERVIEW ALEXANDER KOHLMANN

taz: Herr Walburg, gibt es bei Ihrer Inszenierung von „Im Westen nichts Neues“ einen persönlichen Zugriff?

Lars-Ole Walburg: Ich habe das Buch zum ersten Mal als Jugendlicher gelesen, während meiner Armee-Zeit in der DDR, als ich genau in dem Alter war, in dem die Protagonisten in der Geschichte sind. Bereits damals war ich schwer beeindruckt. Die Entscheidung, das jetzt hier zu machen, hatte natürlich auch etwas damit zu tun, dass sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal jährt. Der Roman wird in diesem Jahr an über zehn Häusern auf die Bühne gebracht. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass es in Remarques Roman einige Aspekte gibt, die für das Theater günstig sind.

Und welche wären das?

Das ist einerseits eine wirklich überschaubare Personage. Ich wollte den Krieg nicht anhand einer anonymen Masse zeigen, sondern einzelne Charaktere von Remarque herausgreifen, um so eine Empathie beim Publikum zu erreichen, vor allem in dem Augenblick, wenn es dann tatsächlich ans Sterben geht. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Sprache von Remarque. Das ist eine unglaublich knappe Sprache, die man für eine Bühnenfassung kaum großartig bearbeiten muss, eine extrem starke Theatersprache.

Warum wieder der Rückgriff auf ein Prosa-Werk? Hätte es nicht auch dramatische Texte gegeben, die so etwas transportieren?

Ich wüsste tatsächlich kein Stück, das für mich überzeugend eine Geschichte zum Ersten Weltkrieg erzählt. Beim Zweiten Weltkrieg gibt es das Heimkehrer-Drama „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert, das sehr eindrücklich ist, beim Ersten Weltkrieg gibt es zwar die Stücke der Expressionisten, aber die sind sprachlich schon ein bisschen aus der Zeit gefallen. Außerdem habe ich nichts gegen Prosa auf dem Theater.

Was sehen wir auf der Bühne?

Die Grundüberlegung war, dass man die Gräuel eines Krieges, gerade auch eines Grabenkampfes, nicht eins zu eins auf eine Bühne übersetzen kann. Man muss eine theatrale und ästhetische Übersetzung finden, wie man Gewalt, Verrohung und Barbarei sichtbar machen will. Wir setzen auf Körperlichkeit und die Präsens der Schauspieler. Es gibt überhaupt keine Veränderung des Raums von außen oder komplizierte Technikabläufe, sondern einen klaren, theatralen Zugriff, der uns nicht in die Situation bringt, dass wir da irgendwie Krieg spielen müssen. Allerdings stellt unsere Bühne große physische Anforderungen an die Schauspieler.

Ist das Thema heute noch aktuell?

Wichtig war mir, dass es in diesem Roman nicht erster Linie um eine historisch korrekte Darstellung des Ersten Weltkriegs geht, sondern auch darum, eine Geschichte über die verlorene Jugend zu erzählen. Und dass diese vierjährige Weltkriegsverheerung auch den Heimkehrenden große Schwierigkeiten bereitet. Ich gehöre zu einer Friedensgeneration, ich kann mir ganz viele von diesen Dingen überhaupt nicht vorstellen, was auch eine gewisse Pietät provoziert im Umgang mit diesen Texten. Aber gleichzeitig merke ich, wir wähnen uns immer so sicher, dass unsere kulturellen Werte fest und unverrückbar da stehen. Anhand so eines Ereignisses wie des Ersten Weltkrieges oder zum Beispiel der Jugoslawien-Kriege Ende des letzten Jahrhunderts sieht man dann, wie schnell die Barbarei unter der vermeintlich so sicheren Decke hervorbricht.

Es ist bereits Ihre sechste Spielzeiteröffnung in Hannover. Nachdem Sie in den ersten Jahren mit ungewöhnlichen, oft politischen Projekten nicht nur auf Zuspruch gestoßen sind, entstand gerade in der letzten Spielzeit bei vielen Produktionen der Eindruck einer neuen Angepasstheit. Gibt es bei Ihnen jetzt eine Art doppelten Spielplan – mit Positionen für ein volles Großes Haus und den Projekten für die Kritiker und die Kunst?

In den ersten drei Jahren war die Auslastung unseres Hauses tatsächlich nicht befriedigend. Sie können sich ja vorstellen, dass es für niemanden lustig ist, der im Theater arbeitet, wenn der Zuschauerraum im Großen Haus nur halb besetzt ist. Insofern ist das, was Sie sagen eine richtige Beobachtung. Ich glaube allerdings, dass wir, ohne uns allzusehr zu verbiegen, das Haus in den letzten Spielzeiten stärker gefüllt haben. Wir haben eben nicht mit den großen Liederabenden oder so etwas angefangen. Die Veränderung, die Sie beschreiben, betrifft tatsächlich vor allem die acht, neun Produktionen auf der großen Bühne.

Inwiefern?

Auf diesen Produktionen liegt ein unglaublicher Druck und man muss sich einfach eingestehen, dass man sie so programmieren muss, dass sie einen großen Anteil der Bevölkerung auch interessieren. Das ist für mich aber kein inhaltliches Verbiegen. Wir haben vor meiner Eröffnungspremiere im Großen Haus ein Projekt mit jugendlichen Flüchtlingen gehabt, dann haben wir ein Klassenzimmerstück, das in den Schulen gespielt wird. Nach mir hat die Gruppe Rimini-Protokoll mit einem Projekt zur „Volksrepublik Volkswagen“ auf der Großen Bühne Premiere. Es ist also auch nicht so, dass wir dort nur die Klassik spielen und uns dann auf den Nebenspielstätten austoben, sondern es muss das eine neben dem anderen geben. Ich bin da nicht auf einem Sicherheitstrip, aber wir können uns auch nicht immer damit herausreden, dass man sagt, gute Kunst ist es nur, wenn die Leute es nicht sehen wollen.

Nächste Vorstellungen von „Im Westen nichts Neues“: 28. 9., 17 Uhr; 4. 10., 11. 10., 17. 10., 19.30 Uhr