Waziristan wirft Dschihadis raus

Nach Kämpfen im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan rufen Stammesführer Militär zu Hilfe. Islamabad hatte zuvor wichtige Versorgungsleistungen eingestellt

KARATSCHI taz ■ Die wochenlangen Kämpfe in Südwaziristan im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan haben vorläufig ein Ende genommen. Bei den Schießereien zwischen Milizen des einflussreichsten lokalen Clans, der Ahmadzai Waziris, und Kämpfern aus Usbekistan und anderen islamischen Ländern waren nach pakistanischen Regierungsangaben rund 300 Ausländer und 56 lokale Stammesvertreter getötet worden.

Die rund eintausend Ausländer, die sich nach dem Fall der Taliban im November 2001 zusammen mit Ussama Bin Laden nach Pakistan abgesetzt hatten, sollen inzwischen nach Nordwaziristan geflohen sein. Doch ob sie ihre dortigen Rückzugsgebiete auf Dauer halten können, ist fraglich. Die andauernden Kämpfe im südlichen Stammesgebiet haben auch in der nördlichen Nachbarregion zur Bildung von Stammesmilizen geführt, um gegen die dort ansässigen Al-Qaida-Kader – neben Usbeken vor allem Turkmenen, Araber, Tschetschenen und Tadschiken – vorzugehen. Durch Vermittlung von Taliban-Kommandanten beschlossen diese nun, Pakistan zu verlassen und sich in ihre Herkunftsländer abzusetzen oder den „Dschihad“ von Afghanistan aus fortzusetzen.

Die Gründe für das Auseinanderfallen der islamischen Dschihad-Front hat zweifellos mit der Schwächung und der ständigen Flucht von Bin Laden und seinem Stellvertreter Aiman al-Zawahiri zu tun. Doch auch für die ohnehin bedrängte Stammesbevölkerung war die Präsenz der schwer bewaffneten „Gotteskrieger“ zu einer immer größeren Belastung geworden. Die Regierung hatte unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft versucht, ihre Autorität über diesen strategisch wichtigen Hinterhof des Landes durchzusetzen – was lange Zeit für eine Solidarisierung zwischen Waziris und Ausländern gesorgt hatte. Die pakistanische Armee, die zeitweise über 80.000 Mann in der Grenzregion einsetzte, musste sich deshalb nach schweren Verlusten und unter demütigenden Bedingungen zurückziehen. Zusammen mit ihrem Abzug brach auch die Ziviladministration zusammen und lokale Taliban-Führer übernahmen die Funktionen von Polizei und Gerichtsbarkeit. In drei Abkommen zwischen Regierung und den Bezirken Süd- und Nordwaziristan sowie Bajaur verpflichteten sich die Stämme, dafür zu sorgen, dass die Islamsöldner auch die Grenze zu Afghanistan nicht überschreiten würden.

Die Abkommen hatten Pakistan harsche internationale Kritik eingetragen, da die strategisch wichtige Region damit praktisch den Taliban übergeben wurde. Es zeigte sich auch bald, dass sich das Versprechen einer Kontrolle der Dschihadis nur schwer durchsetzen ließ. Vor allem aber sahen die Stämme in der Zunahme von Kriminalität eine wachsende Gefährdung ihrer Kultur. Der ideologisierte Islam der Dschihadis kollidierte mit dem tribalen Ehrenkodex der Paschtunen, dem „Paschtunwali“.

Die Regierung nutzte diese latenten Spannungen und ließ die Stämme das Fehlen des Staats spüren. Straßenverbindungen verkamen, das Fernmeldewesen brach zusammen, die Stromzufuhr wurde knapp. Damit braute sich eine feindselige Stimmung zusammen, die schließlich im Beschluss der lokalen Führer gipfelten, die islamischen Gäste mit Gewalt zu verjagen. In einem außerordentlichen „Friedensabkommen“ haben sich die Ahmadzai-Stammesältesten und der talibanisierte Klerus nun an die Regierung gewandt und diese gebeten, wieder zurückzukehren. Die Aufgabe von Ruhe und Ordnung sowie der Sicherheit sei Aufgabe des Staats, erklären sie in einem Fünf-Punkte-Dokument, das dem „politischen Agenten“ Islamabads am vergangenen Wochenende im Hauptort Wana übergeben wurde. Jede Unterstützung „fremder Elemente“ werde sofort eingestellt und unter Strafe gestellt.

Falls das Abkommen hält, was es verspricht, ist es der Regierung damit gelungen, den latenten Konflikt zwischen Stammesloyalität und islamischer Solidarität zu nutzen und die Solidarisierung zwischen beiden unter dem Dach der Umma, der islamischen Volksidee, zu verhindern. Dies eröffnet die Chance, dass die Beschützer der Al-Qaida-Kämpfer entlang der Grenze zu Afghanistan nun deren Gegner geworden sind.

BERNARD IMHASLY