: Erfolg durch Traditionsbewusstsein
AUS ERFAHRUNG GUT Soul-Diva Sade gab sich in der Berliner O2 World Arena die Ehre und sah immer noch so aus wie in den Achtzigern
Im Blockbuster „Tron: Legacy“ sieht man, wie Jeff Bridges dank neuer Computertricks auf sich selbst in einer um Jahrzehnte verjüngten Ausgabe trifft. Bei Sade Adu würde dieser Spezialeffekt seine Wirkung völlig verfehlen. Denn die Frau ist 52 Jahre alt, sah bei ihrem Auftritt in der O2 World Arena am Samstag aber immer noch genauso aus wie damals in den mittleren Achtzigern, als sie mit „Smooth Operator“ ihren ersten Megahit landete.
Ihr Look – die Pferdeschwanzfrisur, die riesigen Ohrringe, der lippenstiftrote Mund und dazu die klassischen Kostüme – wurde damals schlagartig ikonisch, und an diesem Stil hat Sade Adu bis heute keinen Deut geändert. Madonna hat sich bis heute mindestens zwanzigmal neu erfunden, und Lady Gaga muss sich für jeden einzelnen Auftritt etwas neues Schrilles ausdenken, Sade dagegen ist ihrem Outfit so treu geblieben wie der AC/DC-Gitarrist Angus Young seiner Schuluniform und wird sich nie ein Kleid aus Fleisch machen lassen müssen, um aufzufallen.
Die Sängerin aus England ist der lebende Beweis dafür, dass Popmusik tatsächlich nicht immer ein schnelllebiges Geschäft sein muss und man auch mit Traditionsbewusstsein dauerhaft sagenhaft erfolgreich sein kann. Die O2 World war ausverkauft und das Publikum dankbar dafür, genau den soulig-jazzigen Sade-Pop vorgesetzt zu bekommen, der einen in dieses loungig urbane Erhabenheitsgefühl versetzt, das man sonst nur bekommt, wenn man eine Platte von Frank Sinatra auflegt und sich dazu eine Olive in den Cocktail wirft.
Nach der Hälfte ihres Konzerts verschwand Sade Adu von der Bühne und kam in einem schneeweißen Outfit und mit offenen Haaren zurück, so wie man sie etwa vom Cover ihres Albums „Diamond Life“ her kennt. Da war sie dann einen Moment lang eine ganz andere Frau, nicht ganz so exotisch und unnahbar wie mit ihrem Pferdeschwanz.
Erstaunlich, was so ein Haargummi bewirken kann. Und irgendwann bemerkte man noch ein weiteres Detail: Sade Adu bewegte sich barfuß auf der Bühne der Berliner Konzertarena. Sade ohne Schuhe, man traute seinen Augen kaum. Zum Finale zog sie sich abermals um, erschien ganz in Rot und erneut mit straff im Nacken zusammengebundenen Haaren und war wieder ganz dieses exotische Fabelwesen, dessen Schönheit schier außerirdisch wirkte.
Es war sagenhaft, wie es Sade Adu und ihrer Band gelang, scheinbar mühelos einen Auftritt von vollendeter Eleganz selbst in einer gänzlich unglamourösen Mehrzweckhalle wie der O2 World hinzulegen, einem Ort, den man eigentlich nur recht schwer mit der intimen Barjazz-Atmosphäre von Sades unterkühlter und formvollendeter Musik in Verbindung bringt. Aber Sade würde wahrscheinlich sogar einem Bierzelt etwas Klasse und Niveau verleihen können, in dem das Publikum gerade noch einer Rede von Horst Seehofer Beifall geklatscht hatte.
Mit ihrer unterkühlten Soulstimme sang sie sich durch ihre Gänsehaut-Hits wie „Jezebel“ oder „Your Love is King“, während ihre Bandmitglieder mit Sessionmusiker-Perfektion am Kontrabass oder in die Gitarrensaiten zupften, die halligen Beats des Schlagzeugers manchmal nach Trip Hop klangen und der Saxofonist bei Bedarf ein Solo vortrug, das auch bei einer guten Cool-Jazz-Combo nicht unangenehm aufgefallen wäre. Immer wieder wurden Bilder vom nächtlichen Manhattan auf eine riesige Leinwand projiziert, oder die ganze Band samt Sängerin verschwand hinter durchsichtigen Stoffwänden. Sade verzauberte eine ganze Halle, von der man niemals gedacht hätte, dass man sie derart verzaubern könnte. ANDREAS HARTMANN
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