„In Nigeria zählen die Menschen nichts“

Der Menschenrechtsaktivist und Oppositionspolitiker Olusegun Mayegun, der am Samstag für einen Sitz im nigerianischen Senat kandidiert, zieht eine düstere Bilanz der Demokratisierung der letzten acht Jahre

OLUSEGUN MAYEGUN bewirbt sich um den Senatorenposten im Wahlkreis „Lagos East“. Mit 39 Jahren ist er eine gestandene Persönlichkeit in Nigerias Politik. Als Studentenführer und Menschenrechtsaktivist saß er in den 80er-Jahren häufig in den Gefängnissen der Militärdiktatur. Er hat Philosophie und Politikwissenschaft in Lagos studiert und später an der Universität in Leicester, Großbritannien promoviert.

taz: Herr Mayegun, am Samstag werden in Nigeria ein neues Parlament und ein neuer Präsident gewählt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt eine zivil gewählte Regierung die Macht an die nächste ab. Wie soll es danach weitergehen?

Olusegun Mayegun: Ich glaube daran, dass wir unsere Probleme grundsätzlich im Rahmen der Verfassung lösen können. Gewalt kann das nicht. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Nigeria friedlich zu verändern. In Nigeria zählen die Menschen nichts. Es geht nur um Macht, nicht um das Volk.

Hat sich der Alltag der Menschen nach acht Jahren Demokratie nicht verbessert?

Ich kann nicht sehen, dass wir irgendwelche wesentlichen Fortschritte gemacht haben. Keine Demokratie-Dividende hat die Menschen erreicht. Im Gegenteil. Die einzigen, die blendend mit dieser Demokratie zurechtkommen, sind die Regierenden. Sie haben noch mehr Geld, noch mehr Luxusautos, noch mehr Häuser. Immer mehr Menschen leben weiter in bitterster Armut. Was soll das für eine Demokratie sein? Wir wollen das nicht weiter hinnehmen, dass die Menschen durch diese so genannte Demokratie betrogen werden.

Zeichnen Sie die Situation nicht zu negativ?

Familien sterben an Hunger hier in Nigeria. Aber das interessiert die politische Elite nicht. Warum sterben hier Menschen an den einfachsten Sachen? Wie einer Schnittwunde in der Küche, die sich schlimm entzündet, weil kein Geld für Arzt oder Medikamente da ist. In Lagos sind die Wasserversorgung und die hygienischen Zustände katastrophal. Es gibt kaum noch Strom. Und weil die Bildung am Boden ist, herrscht Unwissenheit, kommt es zu Gewalt, angestachelt von rivalisierenden Politikern oder versagenden Sicherheitsbehörden.

Wie ist das Verhältnis zwischen Volk und Gewählten?

Der gewöhnliche Politiker in Nigeria und vor allem die gewählten Eliten sehen das Volk nur als Mittel zum Zweck, um an die Macht zu kommen. Einmal auf dem Posten, kehren sie sich von den vorherigen Versprechungen ab. Dann zählt nur noch, die Amtsbefugnisse für die eigenen Interessen zu missbrauchen. Fragt man die Menschen auf der Straße, was die Politik für sie bedeutet, dann bekommt man oft ein Lachen zur Antwort. Seit 1999 die Demokratie begann, sind sie keinen Schritt vorangekommen.

Sind die ethnischen und religiösen Probleme gelöst?

Die amtierende Regierung unter Präsident Obasanjo hat die Ursachen für religiöse Gewalt nicht beseitigt. Probleme mit der politischen Scharia oder ethnische Konflikte werden von der Regierung ignoriert. Dabei befinden wir uns inmitten eines Konflikts mit teils bürgerkriegsähnlichen Ausmaßen. Man muss nur auf die Situation im Nigerdelta schauen. Dort werden Truppen mobilisiert, am laufenden Band gibt es Entführungen, die Regierung verhandelt mit Rebellenführern – und tut so, als sei das normal. Die Polizei hat schon seit langem vor der Gewalt im Zuge der Wahlen kapituliert. Das Militär soll es nun im ganzen Land richten. Das ist schlimmer als unter der Militärherrschaft. Was für Wahlen sollen das werden? Es geht um das Monopol von Geld und Macht, was die politische Elite in einen Kampf um alles oder nichts stürzt. Jetzt während des Wahlkampfs geben sie etwas von dem gestohlenen Geld als Wohlfahrt an die Menschen. Das ist tragisch. Denn mit diesem Geld bezahlen sie auch Schlägertrupps und Attentäter. Aber für Projekte, die den Menschen helfen, gibt es kein Geld.

Welche Rolle spielt die internationale Gemeinschaft?

Man hätte gehofft, dass die internationale Gemeinschaft die wirklichen demokratischen Kräfte in Nigeria unterstützt. Aber leider wird dieses zivile Regime zu oft in der Welt gehätschelt. Wir hätten eine viel härtere Gangart von außen gebraucht, dass in Nigeria faire und freie Wahlen stattfinden können. Stattdessen spielt die internationale Gemeinschaft eine passive Rolle und akzeptiert auch offensichtlich gefälschte Wahlergebnisse, wie 2003, nur damit das Boot nicht zu schaukeln anfängt. Der Eindruck verfestigt sich, dass ausländische Kräfte ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen über das Wohl der nigerianischen Nation stellen. Vorgänge, die in ihren Ländern nicht akzeptiert würden, nehmen sie hier hin. Beispiel Nigerdelta. Es ist klar, dass es hier keine Wahlen geben kann. Wenn jemand am Ende dieses Monats sagt, es haben dort Wahlen stattgefunden, dann lügt er. Wie sollen Wahlen inmitten eines Kriegszustandes abgehalten werden können? Dort, wo Gangster, Rebellen, egal ob sie für eine Sache kämpfen oder nicht, durch die Straßen patrouillieren. Und wo sich reguläre Sicherheitskräfte zurückgezogen haben. Und dann sagt die internationale Gemeinschaft lediglich, sie schicke keine Beobachter in diese Region. Ist das alles?

INTERVIEW: HAKEEM JIMO