„Dringendes Handeln erforderlich“

Angesichts der humanitären Katastrophe in Somalia üben die USA erstmals harsche Kritik an der Regierung in Mogadischu – die Washington selbst mit an die Macht befördert hat. Die meisten der 300.000 Kriegsflüchtlinge sind weiter ohne jede Hilfe

VON DOMINIC JOHNSON

Angesichts der dramatischen Situation in Somalia hat die US-Regierung beispiellos scharfe Kritik an der von ihr unterstützten Übergangsregierung des Landes geübt. In einem Brief an den somalischen Präsidenten Abdullahi Yusuf, der der taz vorliegt, verurteilt der für Somalia zuständige US-Botschafter in Kenia, Michael Rannenberger, die Beschränkung humanitärer Hilfe für Kriegsflüchtlinge. „Die Legitimität Ihrer Regierung und ihre weitere Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft hängt von Ihrer Fähigkeit ab, für die Bedürftigsten zu sorgen. Das Schicksal Hunderttausender hängt an der sofortigen Bereitstellung humanitärer Hilfe“, so Rannenberger in dem Schreiben.

Die Kritik bezieht sich auf die verheerende Lage von rund 300.000 Menschen, die seit Februar aus der Hauptstadt Mogadischu vor Kämpfen zwischen islamistischen Untergrundkämpfern und Einheiten der äthiopischen Armee geflohen sind. Äthiopien hatte Ende 2006 mit Unterstützung der USA die Übergangsregierung von Yusuf an die Macht gebracht und die regierenden Islamisten verjagt. Blutige Kämpfe in Mogadischu hatten bereits Ende März bis zu 1.000 Tote gefordert. Bei neuen schweren Gefechten starben am Donnerstag 21 Menschen.

Die meisten Flüchtlinge aus Mogadischu sind von jeglicher Hilfe abgeschnitten. Sie kampieren unter freiem Himmel in diversen Orten zwischen der somalischen Hauptstadt und der geschlossenen Grenze zum Nachbarland Kenia. Seit dem Einsetzen heftiger Regenfälle vor einer Woche verzeichneten Helfer unter den wenigen Flüchtlingen, die sie erreichen, bereits rund 16.000 Cholerafälle und bereits über 500 Durchfalltote.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR begann vorgestern mit der Verteilung von Hilfsgütern an 9.000 Menschen in Afgoi, 30 Kilometer außerhalb Mogadischus. Dort leben jedoch 40.000 Flüchtlinge – meist ohne Schutz vor dem Regen. Helfer berichten von Übergriffen bewaffneter Milizen, und dass inzwischen sogar Unterschlupf auf Bäumen vermietet werde. Die UNO warnt vor einer „Katastrophe, wenn nicht sofort und massiv Hilfe die Flüchtlinge erreiche“.

„Leider werden UNO und Hilfswerke in ihren Bemühungen nicht nur durch Unsicherheit behindert, sondern auch durch neue und unvernünftige Beschränkungen, die Ihre Regierung erlassen hat“, kritisiert US-Botschafter Rannenburger in seinem Brief an den somalischen Präsidenten. Er verlangt die sofortige Erlaubnis neuer Lebensmittelverteilungen durch UN-Hilfswerke, das Ende der Besteuerung von Nothilfe und die Öffnung der somalischen Flughäfen für Hilfstransporte. Es sei „dringendes Handeln“ erforderlich, so Rannenberger. „Die US-Regierung ist auf höchster Ebene besorgt.“ So engagiert haben sich die USA noch nie zu Somalia geäußert, seit sie selbst 1992/93 dort einmarschierten, um Nothilfe zu schützen – eine Intervention, die dramatisch schiefging und das Land in einem Chaos hinterließ, von dem es sich bis heute nicht erholt hat.