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Ruhm und Armut

Er war der wichtigste Pianist des Postbop der Sechziger. Am Freitag ist der Jazzmusiker Andrew Hill ist gestorben

Jazz war für ihn schwarze Musik, die man in der Nachbarschaft tankte. Das habe in der offiziellen Wahrnehmung zwar irgendwann aufgehört, doch spirituell blieb es in seiner Musik präsent. Auch wenn der Pianist und Komponist Andrew Hill die traditionellen Stränge der Jazzgeschichte betonte, brauchte seine Musik 40 Jahre, um im Mainstream dieser Musik anzukommen. Eine Karriere zwischen Avantgarde und Tradition mit vielen zerstörten Träumen am Wegesrand. In seiner Heimatstadt Chicago habe er Miles Davis und Oscar Peterson gesehen, und es sei ihnen auch materiell sichtlich gut gegangen, berichtete Hill. Für ihn lief es jedoch anders. Zwar war er die letzte große Entdeckung des Blue Note-Gründers Alfred Lion, binnen acht Monaten nahm er fünf einflussreiche Alben für das legendäre Label auf, darunter „Black Fire“ (1963) und „Point of Departure“ (1964) und wurde zu einem der meist beachteten Pianisten der Sechziger – doch selbst auf dem Höhepunkt seiner Blue-Note-Phase erlebte er nicht Ruhm und Reichtum, sondern Ruhm und Armut. Als die britischen Rockbands den amerikanischen Musikmarkt revolutionierten, musste er sich entscheiden – kommerziell orientierte Musik machen oder einen Lebensstil finden, der schöpferisches Arbeiten möglich macht, ohne zu verbittern.

In den Siebzigern zog er sich von New York nach Kalifornien zurück – setzte sein Musikstudium fort, unterrichtete in Schulen und engagierte sich als Sozialarbeiter. In der First Baptist Church in Pittsburgh, Kalifornien, war er damals als Pianist tätig. Er nahm hin und wieder für kleine Indie-Labels auf, Ende der Achtziger gab es seine erste Rückkehr zu Blue Note, doch der Durchbruch für ihn folgte erst im Jahr 2000 mit der Blue-Note-CD des Saxofonisten Greg Osby, „Invisible Hands“. Seitdem wurde Hill mit Auszeichnungen überhäuft, seine alten Aufnahmen wurden wieder veröffentlicht, und eine unveröffentlichte Session kam unter dem Titel „Passing Ships“ heraus: „Das beste Album des Jahres 2003 wurde 1969 aufgenommen“, stand dazu in der New York Times. Dichte Harmonien, polyrhythmische Spannungsbögen und ein virtuoses Gespür für Timing und Klangfarbe zeichnen Hills Kompositionen und Improvisationen aus, er übersetzte und erweiterte den kompositorischen Spirit von Theolonious Monk in die heutige Zeit.

Hill selbst stand dem Hype bis zum Schluss skeptisch gegenüber. Er verfolgte die Karriere von Wynton Marsalis und Jazz at Lincoln Center, wo er selbst auch auftrat, ebenso wie die eher experimentelle Musik, die in dem kleinen New Yorker Souterrain-Laden 55 Bar gespielt wird. Das heutige New York erinnerte ihn positiv an eine Busreise von Chicago in die Jazzmetropole, um John Coltrane für 2 Dollar im Five Spot zu hören. Inklusive Rückfahrt habe ihn das damals 20 Dollar gekostet, kein Big Deal also. Von dem Traum, das große Geld mit seiner Musik zu machen, hatte er sich schon längst verabschiedet, man müsse den Abgrund gesehen haben, um zu wissen, was einem guttut, sagte er. Das Video von seinem letzten Konzert am 29. März in der Trinity Church in Manhattan kann man sich im Internet anschauen.

Andrew Hill hatte Lungenkrebs, am 20. April ist er im Alter von 75 Jahren in seinem Haus in New Jersey gestorben.

CHRISTIAN BROECKING

Andrew Hills letztes Konzert unter: www.trinitywallstreet.org/calendar/index.php?event_id=39988

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