Der Aufklärungshype

Von RAF-Häftlingen Aufklärung als Gegenleistung für Haftentlassung zu verlangen, ist Aussageerpressung

Als I. M., Mitglied der Gründergeneration der RAF und Überlebende der Todesnacht von Stammheim, 1994 nach 22 Jahren Knast entlassen wurde, empfing die Gesellschaft sie freundlich. Über ihre Freiheit freuten sich ein Oberbürgermeister, Rechtspolitiker der Grünen, der SPD, der FDP. Sie konnte anschließend unbehelligt ausgerechnet in Bayern viele Jahre lang leben. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass sie Straftaten aufzuklären und Tatbeteiligungen zu offenbaren hätte oder gar das Geheimnis der Todesnacht in Stammheim im Sinne der offiziösen Selbstmordthese zu bestätigen habe. Schließlich gab’s die RAF noch, war Aussöhnung und Rechtsfrieden so etwas wie politisches Programm.

13 Jahre später – nach der Selbstauflösung der RAF – melden sich angesichts eines Gnadenantrags des C. K. Opferangehörige, christdemokratische Politiker, aber auch der frühere Regierungspressesprecher, der 1977 gegen den Art. 5 der Verfassung die Nachrichtensperre erfunden hat: Sie verlangen von den Häftlingen der RAF Aufklärung als Gegenleistung für Haftentlassung und drohen, davon Gnaden- und Haftentlassungsentscheidungen abhängig zu machen. Das sind strafrechtlich gesprochen Versuche der Aussageerpressung. Ein notorischer Wichtigtuer aus dem Milieu der RAF – der sich zu Zeiten der eigenen Strafverfolgung noch als kleines Licht darzustellen beliebte und entsprechend geringe Strafen einfuhr – will jetzt genau wissen, wer Buback erschossen hat. Der von ihm bezeichnete S. W., wegen Beteiligung an der Erschießung des ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten H. M. S., hat seinen mehrfach lebenslänglichen Knast bis 1999 abgesessen. Er sieht sich jetzt einem neuen Strafverfahren gegenüber, mit Hörensagenzeugen zweifelhafter Lauter- und Wahrhaftigkeit wie P. J. B. als Belastungszeugen. Die übrigen Verurteilten dürfen damit rechnen, ebenfalls als Zeugen gehört zu werden. Sagen sie nicht aus, droht Beugehaft bis zu einem halben Jahr.

Ein staatlicher Strafanspruch wird damit nicht durchgesetzt. Selbst für den Fall, dass S. W. überführt und verurteilt werden sollte, gäbe es keine nennenswerte zusätzliche Haft, jedenfalls wenn es nach Recht und Gesetz geht. Zudem haben die politischen Zeitgenossen des oben zitierten Regierungssprecher seinerzeit das Strafrecht für RAF-Beteiligte derart aufgeweicht, dass es nicht drauf ankam, ob jemand geschossen hat, um ihn zu lebenslänglichem Knast zu verurteilen. Das Organisationsdelikt „terroristische Vereinigung“ und abenteuerliche Theorien zur Tatbeteiligung erlaubten der Justiz auch die Verurteilung wegen Mordes, wenn sie nicht wusste, wer was gemacht hat. Wenn sich herausstellen sollte, dass C. K. bei der Erschießung Bubacks und seines Fahrers das Fluchtfahrzeug geführt hat, bliebe er im Rechtssinne am Mord beteiligt. Und K. F., der in Holland weilte, als er nach „Feststellungen“ des Gerichts Buback erschoss, hat keinen Wiederaufnahmeantrag gestellt. Der Mann ist weise und zieht den Rechtsfrieden einer Wiederaufnahme vor, die ausgerechnet vor der Bundesanwaltschaft vor den selben Staatsanwälten betrieben werden müsste, die (wegen ihres notorischen Zurückdrängens des „Im Zweifel für den Angeklagten“-Grundsatzes) das falsche Urteil zu verantworten haben.

Das Gewese um die Aufklärung der RAF-Taten hat danach nur ein Ziel: die unverhohlene Sonderbehandlung der RAF-Gefangenen um der Verfolgung sicherheitspolitischer Ziele Willen. Ein FDP-Justizminister sanktioniert im Falle C. K. die Äußerung einer antikapitalistischen Meinung. Rechtsfrieden, der Ziel der Strafverfolgung ist, und der nicht gleichzusetzen ist mit dem Seelenfrieden von Opfern und deren Angehörigen, wird so nicht erreicht werden. Vielleicht war die Selbstauflösung der RAF – strafvollstreckungstechnisch – ein Fehler. JONY EISENBERG

Der Autor ist Anwalt in Berlin