Brasilien erinnert sich an Indianer

Präsident Lula verspricht mehr Engagement für die indigene Bevölkerung. Diese will in erster Linie ihr Land zurück und sieht sich von der industriellen Landwirtschaft bedroht

PORTO ALEGRE taz ■ Luiz Inácio Lula da Silva will künftig mehr für die 700.000 brasilianischen Indígenas tun. Am Donnerstag, dem „Tag des Indianers“, empfing der Präsident die 20 indigenen Vertreter der neu gegründeten „Nationalen Kommission für Indianerpolitik“, die die Vorgaben für die Regierungspolitik ausarbeiten soll. „In meiner zweiten Amtszeit werdet ihr viel Aufmerksamkeit bekommen“, versprach Lula. „Alles, was zwischen 2003 und 2006 unterlassen wurde, werden wir bis 2010 machen.“

Mit seiner Unterschrift bestätigte er die Einrichtung von sechs Reservaten von knapp 10.000 Quadratkilometern. Zuvor hatte Justizminister Tarso Genro für 7 Territorien den Prozess der Landvermessung eingeleitet, darunter für das Araça’I-Gebiet im südlichen Bundesstaat Santa Catarina. „Das ist ein großer Sieg für das Volk der Guarani“, freute sich Roberto Liebgott vom katholischen Indigenenmissionsrat Cimi, der wichtigsten Stütze der Ureinwohner.

Die neuen Töne aus Brasília sind eine Reaktion auf die Frustration der Indígenas und ihrer Helfer. „Bisher war die Indianerpolitik Lulas ein Rückschritt“, sagte Cimi-Generalsekretär Erwin Kräutler der taz. Der aus Österreich stammende Bischof, der die Amazonasdiözese Xingu leitet, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Lula hat keine Sensibilität für die Indianer gezeigt.“

Auch deshalb besinnen sich die 227 unterschiedlichen Indígena-Völker Brasiliens mehr denn je auf ihre Stärke. In der Hauptstadt Brasília, in Amazonien, im Nordosten und in Südbrasilien kamen in den vergangenen Tagen tausende Indianer zusammen, um sich auszutauschen, zu feiern und ihrem wichtigsten Anliegen Gehör zu verschaffen: Sie wollen das Land zurückzugewinnen, das ihnen seit dem Beginn der Kolonisation im Jahr 1500 Stück für Stück geraubt wurde. Mitten in der Fußgängerzone von Porto Alegre veranstaltete eine Gruppe von Guaranis ein für die Stadtbewohner ungewöhnliches Ritual: In einer Grünanlage hoben sie mit ein paar Spatenstichen ein Loch aus, setzten eine Matepflanze ein, sangen und beteten. Während ein Schamane die Pflanze weihte, umhüllten ihn die Umstehenden mit wohlriechendem Pfeifenrauch.

800 Guaranis hatten sich in der südbrasilianischen Metropole zu ihrem zweiten kontinentalen Treffen versammelt. Aus mehreren Bundesstaaten, aber auch aus Paraguay, Argentinien und Bolivien waren sie angereist. „Wir Guaranis kennen keine Grenzen“, sagte Organisator Mario Karaí. „Hier haben wir erfahren, dass wir in den jeweiligen Ländern oft vor ganz ähnlichen Problemen stehen. Selbst dort, wo wir nach langen Kämpfen unser Land zurückgewonnen haben, ist ein Leben in Würde noch lange nicht garantiert.“

Nicht nur in Amazonien stellt das Agrobusiness die größte Bedrohung für die Ureinwohner dar. Wenn Bauern oder große Konzerne Soja, Zuckerrohr oder Eukalyptus anbauen, sind Konflikte mit den schon zahlenmäßig unterlegenen Ureinwohnern vorprogrammiert. Im Bundesstaat Espirito Santo nördlich von Rio de Janeiro etwa streiten Guaranis und Tupinikins gegen den Zellstoffmulti Aracruz, der auf 11.000 Hektar Indianerland Eukalyptusplantagen angelegt hat. Bislang genießt das Unternehmen bei dem Konflikt die Unterstützung der Behörden, die Bundespolizei ging bereits mehrfach brutal gegen die Indígenas vor.

Anastasio Peralta aus dem an Paraguay angrenzenden Agrarstaat Mato Grosso do Sul beklagte: „Als Präsident hat Lula dieselbe Mentalität an den Tag gelegt wie die europäischen Eroberer: abholzen, Exportprodukte anpflanzen, Staudämme bauen“. Vor Monaten hatte Lula Indígenas, Afrobrasilianer und Umweltaktivisten als „Hindernis für den Fortschritt“ attackiert – ausgerechnet vor den Großbauern in Mato Grosso, wo die Lage besonders dramatisch ist. Seit 2005 sind dort mindestens 41 Kinder unter vier Jahren verhungert.

Auch für deutsche Politiker rangieren die Belange der Indianer weit hinter den Erfordernissen der Wirtschaft. „Immer, wenn wertvolle Rohstoffe gefunden und Begehrlichkeiten von Firmen geweckt werden, geraten Indígenas unter enormen Druck und können ihre traditionellen Lebensweisen kaum aufrechterhalten“, so Thilo Hoppe von den Gründen im Bundestag. Sein Antrag, die Regierung möge die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker ratifizieren, wurde Ende März von Union, SPD und FDP abgeschmettert. GERHARD DILGER