: Erinnerungen an die Vertreibung
FAMILIENFILM In der Dokumentation „Aber das Leben geht weiter“ erzählen Karin Kaper und Dirk Szuzies von der Begegnung zwischen einer deutschen und einer polnische Familie, die beide vertrieben wurden
VON WILFRIED HIPPEN
„Was gibt es denn so Neues in Bremen?“ fragt die Filmemacherin Karin Kaper in einer der ersten Einstellungen ihrer Dokumentation ihre Mutter bei der Ankunft in ihrer Heimatstadt, in der sie seit zwanzig Jahren nicht mehr lebt. Diese alltägliche Willkommenszene hat auf den ersten Blick mit dem Rest des Films wenig zu tun, doch bald merkt der aufmerksame Zuschauer, dass hier unterschwellig auf das Hauptmotiv vorbereitet wird. Denn der Film ist voller Wiederbegegnungen, Besuchen von Orten der Kindheit, Erinnerungen, Begrüßungen und Abschieden.
Karin Kapers Mutter und deren Schwester gehören zu den Ende des zweiten Weltkriegs aus Polen Vertriebenen und bei einer früheren Reise zum ehemaligen Hof der Familie lernten sie Edwarda kennen, die dort heute als einzige noch lebt. Der Film erzählt von einer Reise, die die Filmemacherin mit Mutter und Tante zurück in deren ehemalige Heimat machte. Dabei agierte sie selbst eher vor als hinter der Kamera, und so war ihr Co-Regisseur Dirk Szuzies für die Aufnahmen zuständig, während sie die Gespräche und Erzählungen der Protagonistinnen initiierte.
abei fällt auf, wie herzlich die Besucher aus Deutschland in Polen aufgenommen werden. Dies liegt sicher auch daran, dass (abgesehen von ein paar Einstellungen, in denen der Vater der Filmemacherin ein paar Halbsätze sagen darf), hier nur Frauen zu Worte kommen. Der Film hat eine durchgängig familiäre Grundstimmung, und diese wird auch dadurch verstärkt, dass die Frauen bei der alltäglichen Arbeit in Haushalt und Garten gezeigt werden. In verschwommenen Bildern spielen immer wieder vier Mädchen Fangen in einem sommerlichen Gartenund zum Teil wird auch auf Super 8 gedrehtes Material von einer Reise der Filmemacherin und ihrer Mutter nach Polen verwendet.
Den Kern des Film bilden die Erinnerungen der drei Zeitzeuginnen. Wie kompliziert das Thema „Flucht und Vertreibung“ auch heute noch ist, wird eindrücklich durch diese subjektive Sicht auf die historischen Ereignisse deutlich. So ist es die Polin Edwarda, die mit ihrer Familie Vertreibung in ihrer brutalsten Ausprägung erleiden musste. Von der sowjetischen Armee wurden 1940 die Bewohner ihres gesamten Heimatdorfes in Ostpolen zur Zwangsarbeit nach Sibirien umgesiedelt. Als 16jährige wurde sie dann in die Rote Armee einberufen und nach dem Krieg mit dem Hof der Deutschen entschädigt, wohin sie dann ihre Familie aus Kirgistan nachholen konnte.
Die Deutschen flüchten ende des Krieges gleich zweimal aus dem Dorf, kehrten in den unübersichtlichen Kriegswirren jedes Mal wieder auf ihre Hof zurück, bis sie 1946 dann endgültig aus Polen vertrieben wurden. Die Polen verloren den Hof dann bald wieder durch die Zwangskollektivierung und die Deutschen siedelten sich in Syke bei Bremen an, wo sie als Mägde und schlecht bezahlte Arbeitskräfte überlebten und von den Einheimischen ausgerechnet als „Polacken“ beschimpft wurden. Die Lebensgeschichten dieser beiden Familien, die sich kreuzen und heute in gegenseitigem Verstehen münden, machen den Wert dieses sehr persönlichen und dadurch so wahrhaftig wirkenden Filmes aus.
Der Film läuft täglich um 17 Uhr im Bremer Kino Cinema
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