Hypochondrie
: Yoga, die Bitch!

Was macht mein Sohn dann ohne mich? Lieber schnell zum Arzt!

Ich war zum Arzt gegangen. Diese Schmerzen. Immer am unteren Rippenrand, rechts stärker als links. Ich hatte lange an mir herumgeprokelt, einen Finger unter die Rippe gesteckt, irgendwie müsste der Schmerz doch zu lokalisieren sein. War es ein Befall des Knochens? Eine Rippenfellentzündung? Was ist eigentlich das Rippenfell? Müsste ich mal im Internet nachgucken. Lieber doch nicht. Viel zu gefährlich für Hypochonder.

„Was liegt unter den Rippen?“, fragte ich meine Schwester. „Lunge“, sagte sie, ausgebildete Krankenpflegerin. Sofort kamen die Bilder: Diagnose, Chemo, Tod. Was macht mein Sohn dann ohne mich? Lieber schnell zum Arzt, dachte ich.

Aber dann, dachte ich, wenn ich doch nichts habe, was dann? Die Peinlichkeit, wegen nichts hingegangen zu sein. Im hässlichen Wartezimmer Zeit vergeudet, sich mitleidig ansehen lassen: ah, Hypochonder.

Ich war doch hingegangen. Das Prokeln, Tasten und Nicht-ins-Internet-Schauen half nicht. Die Gedanken an meinen nahen Tod waren zu präsent. Beim Kaffeepulver-in-die-Kanne-schütten, beim Blumengießen.

Die Ärztin war jung und freundlich. Sie tastete meine Rippen ab: „alles schick“. Unter den Rippen sei nur die Leber, sie werde Blut abnehmen und die Werte kontrollieren. Aber ich sollte mir keine Sorgen machen. Der Körper würde sich immer auf die eine oder andere Weise bemerkbar machen und wenn man erst mal darauf achte, würde man manchmal Sachen spüren.

Sachen spüren! Ihre Bemerkungen hatten mich derart beruhigt, dass ich bis zur Diagnose einer gesunden Leber gar nichts mehr spürte. Danach sowieso nicht.

Bis ich gestern wieder beim Yoga war. Heute schmerzen alle Rippen. Beidseitig. Aber ich mache mir keine Sorgen mehr. Lunge, Leber, Krebs – das alles war bloß Yoga, die Bitch.

KIRSTEN REINHARDT