ausgehen und rumstehen
: Skizzen von mitreißender Energie

Das Picknick war früher eine kleine Bar mit Galerieraum auf der Brunnenstraße. Es wurde einmal die Woche gekocht und kleine Geburtstagspartys gefeiert. Heute steht man im dritten, kleinsten Raum des Picknick und schaut zwei hübschen Mädchen zu, die Lieder wie „I like to move it“ von ihren iBooks abspielen, während die Barkraft als Getränk Sekt-Aperol vorschlägt. Unten im großen Raum ist das Wort „Yeah!“ durch Neonröhren im Stil eines vertrashten Dan Flavins illuminiert, und ein Schwede neben mir meint, hier würden Berliner versuchen, wie Stockholm vor fünf Jahren zu sein. Die Schweden sind ein gut angezogenes und arrogantes Völkchen. Meist groß, haben sie enge Hosen und weiße Schühchen an und sprechen besser Englisch als jeder Amerikaner. Doch dieser schöne Schnösel hat Unrecht.

Das Picknick ist die kleine süße Schwester vom Rio, dem Club, der im Mai schließen muss und dessen Besucher sich dann wohl hier (...) treffen. In einer Stadt, die nur im Osten feiern geht, wird der Club so im Grunde zum westlichsten Partytreff. Mitten im Areal aus Touristik, Politik und sanft betonierter Freifläche. Einer Welt, die nur am Tag zu leben scheint. Heute Nacht halten einem einige Mädchen ihre großen digitalen Spiegelreflexkameras ins Gesicht. Sie trägt ein Kostüm zwischen Armeeuniform und Stewardess. „Irgendwas Sowjetisches, Arbeiter,“ sagt sie, während ihre Augen ekstatisch in die Menge stieren. Sie fotografiert für einen Mode-Blog cool aussehende People aus Berlin, und sie ist hier schon die Zweite mit dieser Aufgabe, die mir begegnet. Als im Picknick aufgekratzte Hipster im Flashlight-Gewitter zum Block Party Mix in die Luft springen und sich bemühen, so auszuschauen, als wären sie ganz schön außer sich, muss man schnell ins Weekend eilen. Denn man möchte jetzt lieber bei Derrick May sein.

Er ist der alte schwarze Mann aus Techno-Detroit, der nach 13 Jahren wieder in Berlin ist und Musik spielt, die 20 Jahre alt ist und wunderschön. Derrick zelebriert viele DJ-Tricks, die sich heute keiner mehr traut. Er macht sich nichts aus der blanken Perfektion des Mixes. Vocals werden von vollen Piano-Loops hochgefächert, flankiert von Cello-Einspielungen, die May zu einem Netz aus Skizzen von mitreißender Energie mixt. Hier geschieht etwas mit Seele, das jeden in der Minimal-Republik an seine Grundfesten erinnert. Hier ist ein Mythos lebendig zu begreifen, und es funktioniert um einiges besser als am Sonntag im Rodeo auf der Augustraße, als beim „Vienna Soundcheck“ ein Falko Imitator die 20 Leute vor ihm zu animieren versucht und eine Hommage im Ballsaal zu einem absurden Schützenfest gerät.

TIMO FELDHAUS