Gordon wartet noch

Stephen Frears’ „Doppelspitze“ (22.45 Uhr, Arte) über den Pakt zwischen Tony Blair und Gordon Brown zeigt, was politische Fiktion leisten kann

VON HANNAH PILARCZYK

Langsam steigt Angela Merkel (Ulrike Kriener) aus dem Auto aus. Ihr Blick bleibt an dem kleinen weißen Tor vor der Eingangstür hängen. Dann besinnt sie sich wieder, streicht die Sitzfalten aus ihrem Hosenanzug und läuft los. Bevor sie klingeln kann, öffnet sich bereits die Tür. Edmund Stoiber (Ulrich Pleitgen) hat auf sie gewartet. Heute müssen sie entscheiden, wer als CDU-Kanzlerkandidat gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder antritt.

Einen Fernsehfilm über das Frühstück von Wolfratshausen gibt es nicht und wird es wohl auch nie geben. Man muss sich aber so einen Film vorstellen, um zu verstehen, was der britische Regisseur Stephen Frears mit „Doppelspitze“ geleistet hat: Er zeichnet die Wege der aufstrebenden Labour-Abgeordneten Tony Blair und Gordon Brown nach. Wie sie sich im gemeinsamen Büro in Whitehall einrichten, wie sie sich Tipps für ihre Jungfernreden im Parlament geben, wie sie die wirtschaftspolitische Öffnung der Partei betreiben – und wie sie unter sich ausmachen müssen, wer Nachfolger des plötzlich verstorbenen Parteivorsitzenden John Smith und damit Labours Spitzenkandidat für die nächsten Unterhauswahlen wird. Bei einem Dinner im Londoner Edelbistro Granita kommt es schließlich zum Showdown: Brown verzichtet auf eine Kandidatur. Doch er ringt Blair das Versprechen ab, während seiner zweiten Amtszeit – mit der Brown weitsichtig rechnet – zu seinen Gunsten abzutreten. „The Deal“, so der Originaltitel, ist besiegelt.

Mit Drehbuchautor Peter Morgan und Blair-Darsteller Michael Sheen versammelte Frears für „Doppelspitze“ 2003 bereits das Team, mit dem er drei Jahre später auch seinen Kinoerfolg „The Queen“ drehte. Wo Helen Mirren als Elizabeth II. viel fiktionalen Raum für ihre glänzende Charakterstudie erhielt, überwiegt im Vorläuferfilm das Dokumentarische. Zwischen Originalaufnahmen von Labour-Parteitagen und dem Smith-Begräbnis ordnet Frears schlaglichtartige Szenen zwischen Brown und Blair an. Dank herausragender Darsteller – allen voran David Morrissey als polternder Brown – kippt „Doppelspitze“ jedoch nie in eine zeitgeschichtliche Nummernrevue um. Peter Morgans brillante Dialoge schließlich verleihen dem Film eine Leichtigkeit, die die Machtstudie über das interessierte Fachpublikum hinaus zugänglich machen.

Was den Film aber hauptsächlich zum Fernsehereignis werden lässt, ist die Unbefangenheit, mit der sich Frears und Morgan der führenden Politiker Großbritanniens annehmen und sie in popkulturell kompatible Figuren überführen – für das deutsche Fernsehen, das sich an Menschen der Zeitgeschichte nur wagt, wenn sie schon lang aus dem Amt sind oder tot, ein absolutes Lehrstück. Genüsslich führen Frears und Morgan beispielsweise vor, wie Parteistratege Peter Mandelson – heute EU-Kommissar – ebenso geschmeidig wie hinterhältig vom Brown- ins Blair-Lager wechselt. Danach versteht man, warum der so sanft erscheinende Mandelson in Großbritannien den Spitznamen „Prince of Darkness“ trägt.

Wohl eher zufällig hat Arte mit seiner Programmierung die andauernde Aktualität des Films unterstrichen. Am 3. Mai werden in Schottland und Wales die Regionalparlamente gewählt. Allgemein wird erwartet, dass Blair danach endlich den genauen Tag seines Rücktritts verkündet. Doch noch immer stemmt er sich dagegen, Brown zu seinem Nachfolger zu ernennen. Bis zuletzt soll sich Blair für eine Kampfkandidatur von Umweltminister David Miliband eingesetzt haben. Doch der verzichtete am vergangenen Sonntag offiziell. „Doppelspitze“ zeigt zum Schluss die zwei Wahlerfolge von Labour bis 2003 samt dem strahlenden Tony Blair, der in der Folge noch eine dritte Amtszeit für sich beansprucht. Die letzte Einblendung mahnt: „Gordon Brown wartet immer noch.“