Rap-Stars auf Urlaub

Dem Promoter Ahmed Öner ist mit der Verpflichtung dreier kubanischer Staffelboxer ein Coup gelungen. Nun sollen die flüchtigen Faustkämpfer im Eiltempo an die Weltspitze gebracht werden

VON BERTRAM JOB

Wenn er nur den Mann finden könnte, dem er vor einiger Zeit seine Goldmedaille vom olympischen Turnier in Athen verkauft hat – Yuriorkis Gamboa wüsste wohl, was zu tun ist. 1.500 US-Dollar wären für ihn kein unlösbares Problem mehr, seit er nun Profi geworden ist. Bis vor einem halben Jahr aber war er noch Amateur und lebte auf Kuba, das für seine hervorragend ausgebildeten Boxer weltweit mehr Ruhm erlangt hat als für seine allgemeine Versorgungslage. So blieb ihm nach eigener Darstellung keine andere Wahl, als sich von der bedeutendsten Trophäe seiner sportlichen Laufbahn zu trennen. „Zum Schluss ist es mir schwergefallen“, sagt er in fast geflüstertem Spanisch, „ich habe das nur unter finanziellem Druck gemacht.“ Es ist keine fröhliche Geschichte, die der 25-jährige Neo-Profi im großzügigen Gym der Hamburger Arena Box-Promotion erzählt.

Aber welche Nachricht von der sozialistischen Insel in der Karibik stimmte einen in diesen Tagen schon froh? Da wird über das erkrankte Staatsoberhaupt Fidel Castro berichtet, als sei der máximo líder der einzige Darbende auf Kuba. Tatsächlich aber hat die angespannte Wirtschaftssituation offenbar auch die Vorzeige-Athleten erreicht. Dann braucht es nur noch ein paar interne Unstimmigkeiten, und so mancher von ihnen will plötzlich weg. So wie Gamboa und seine beiden Fluchtgefährten, Yan Barthelemy und der dreifache Schwergewichts-Weltmeister Odlanier Solís.

Es sei ein spontaner Entschluss gewesen, sagt Solís, der sie dazu veranlasst habe, sich im November bei einem internationalen Turnier in Venezuela von der Mannschaft abzusetzen: „In der Equipe sind einige Dinge passiert, die nicht in Ordnung waren“, sagt er, ohne dazu konkreter zu werden. Es muss nicht die wahrhaftigste Version der Ereignisse sein. Doch solange es auf der Insel noch Angehörige gibt, die als Mitwisser belastet würden (und mit anwaltlicher Hilfe bald nachgeholt werden sollen), ist es wohl die einzig mögliche. Gesichert ist jedenfalls, dass die drei Olympiasieger von Athen sich im benachbarten Kolumbien in die Obhut des Profi-Managers Tony Gonzalez begaben. Dort sprachen dann etliche Promoter aus Deutschland und den USA vor, denn trotz wechselhafter Erfahrungen gilt ein Staffelboxer aus Kuba noch immer als Garant für große Titel und Gewinne bei den Profis.

Am Ende aber machte weder die „Golden Boy Promotion“ von Superstar Oscar De La Hoya noch Hamburgs Branchenriese Universum, sondern ein gewisser Ahmet Öner das Rennen. Und das lag, neben den aufgerufenen Summen, wohl auch am Einsatz, den der ehrgeizige Geschäftsführer des jungen Arena-Stalls in jenen Tagen gezeigt hat. Öner war schon vor Ort, als die Konkurrenz wegen Sturmwetters in Deutschland noch auf dem Flughafen feststeckte. Er kümmerte sich um die Pässe, die Familien und alle übrigen Sorgen der Boxer und fand diverse Zwischenhändler mit erheblichen Summen ab. Das waren viele Untiefen, betont er in blumiger Diktion, als sei er selbst ein dem Meer ausgesetzter Flüchtling gewesen: „Ich bin der Einzige, der da durchgeschwommen ist.

Die Genugtuung über den Coup, mit dem der ehemalige Durchschnittsprofi auch seinem früheren Arbeitgeber Universum zuvorgekommen ist, lässt sich Öner nur zu gerne anmerken. Mit den Geldern privater Investoren und einem türkischen TV-Sender im Rücken möchte der 35-Jährige sehr bald zu einem der wichtigsten Impressarios im globalen Business aufsteigen. Da kommen ihm die drei Olympiasieger, die er gleich nach ihrer Ankunft zum Maßschneider schleifte, gerade recht. „Alle drei sind gleich stark“, glaubt Öner, „und alle werden in Rekordeile an die Spitze gebracht.“ Dafür hat der unermüdliche Promoter eigens den versierten Coach Victor Manuel Masson, einen gebürtigen Ecuadorianer, aus dessen Gym in Chikago losgeeist. „Manny“ wird nun in der Ecke sein, wenn Barthelemy, Gamboa und Solís am Freitagabend auf einer Veranstaltung im Arena-Gym ihr Profidebüt geben. Es soll der Auftakt zu einer dreifachen Siegesserie werden, auf deren Höhepunkt sie nach WM-Titeln greifen, so wie es vor ihnen schon ihrem Stallgefährten Juan Carlos Gomez (Cruisergewicht) unter der Regie von Universum sowie dem in Miami trainierten Joel Casamayor (Leichtgewicht) gelang – beide ebenfalls Exil-Kubaner. Die Umstellung auf den Profistil dürfte keine gravierenden Probleme bereiten, ist der schwergewichtige Solís überzeugt. „Das ist kein großer Unterschied“, brummt er als Sprecher für alle drei, „man hat nur kein Trikot an, und die Zeit im Ring ist länger.“

So viel Selbstgewissheit vor dem ersten Gong ist jedoch auch ihrem Promoter fast zu viel – zumal die drei Flüchtlinge sich in den ersten Trainingswochen nicht zerrissen haben. Es hat eine gehörige Ansprache durch Öner sowie etliche Einheiten im Gym gebraucht, heißt es, bis die Neuerwerbungen von ihrem Übergewicht und einer laxen Arbeitsmoral herunterkamen. Mit ihren neuen Uhren und allerhand güldenem Geschmeide gaben sie bis dato eher Rap-Stars auf Urlaub ab – und erschienen genauso pünktlich im Gym. Dieser Habitus könnte ihnen gefährlicher werden als die handelsüblichen Aufbaugegner, schätzt Trainer Masson: „Sie waren dieser Welt der Verlockungen bisher nie ausgesetzt. Nun sind sie wie Kinder im Süßigkeitengeschäft.“

Umso mehr gefiel, wie vor allem Solís sich in den letzten Tagen beim Sparring präsentierte – und dabei auch einen früheren Champion ausknockte. Nach solchen Taten schmerzen Promoter Öner nicht mal die vierstelligen Telefonrechnungen, die seine Hoffnungsträger neulich an sein Büro weiterreichten: „Mit den drei Kubanern können wir die Boxwelt aus den Angeln heben.“