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: Mit Raus Verlierer-Zug Richtung historische Wahlpleite

Ein Jahr nach dem Tod von Johannes Rau schreitet die Historisierung des Ex-NRW-Landesvaters voran. Nach einem Symposium an der Uni Bochum zu Beginn dieses Jahres (taz berichtete) haben nun Göttinger Politikwissenschaftler Rau erforscht.

In ihrem Beitrag in einem Band über gescheiterte Kanzlerkandidaten analysieren Scott Gissendanner und Dirk Vogel das trübste Kapitel in der Karriere des Wuppertalers: den verlorenen Bundestagswahlkampf 1987. Der Essay beginnt mit Impressionen aus dem „Loser Train“, dem Verliererzug, wie ihn Journalisten damals nannten. Rau reiste mit seiner Wahlkampfcrew per Bundesbahn durch das winterliche Deutschland – der Wahltag lag anders als sonst üblich nicht im Herbst, sondern im Januar.

Lange vor der Wahl hatte der Kanzlerkandidat die Auseinandersetzung mit CDU-Amtsinhaber Kohl bereits verloren, so die These der Politologen. Am Ende erreichte Rau 37 Prozent – und verfehlte sein Wahlziel, die absolute Mehrheit. Gissendanner/Vogel sehen nicht in der überzogenen Erfolgserwartung den Grundfehler der SPD. Vielmehr sei Raus Wahlkampf organisatorisch schwach, illusionär, unfokussiert und naiv gewesen.

Raus in seinem Heimatland so erfolgreiche Heile-Welt-Strategie (Der von Chef-Berater Bodo Hombach erdachte pan-sozialdemokratische Slogan „Wir in NRW“ brachte diese Konsenslinie auf den Punkt) verfing im Bundesgebiet nicht. „Popularität und Glaubwürdigkeit sind kein Grund, eine Partei zu wählen – gerade für stark verunsicherte Wähler in wirtschaftlichen Umbruchphasen“, schreiben die Autoren. Und in einer solchen Phase befand sich die alte BRD 1987. Kohls Pseudo-Aufschwung war verpufft, neue Probleme wie die Tschernobyl-Katastrophe von 1986 machten vielen Menschen Angst. Rau hatte darauf keine Antwort – auf die Grünen reagierte er angewidert. Die Öko-Partei sah er als „zerrissene, gesichtslose Vereinigung“. NRW schien ihm recht zu geben – in Düsseldorf hatte er die Grünen 1985 am Einzug in den Landtag gehindert, als er selbst die absolute Mehrheit ausbaute.

Doch nicht nur Rau, die ganze SPD steckte in einer Krise. Auf Postmaterialismus reagierte sie hilflos und hatte kein Gegenkonzept zur Kohl-Politik. Traditionsgenossen und rot-grün-affine „Linke“ wie der damalige niedersächsische SPD-Chef Gerhard Schröder stritten sich munter im Wahlkampf. Der Versöhner aus Düsseldorf sah tatenlos zu: „Rau hätte in einem innerparteilichen Klärungsprozess mit seinem Kommunikationsstil als Moderator die Parteiflügel einbinden können.“ Doch Rau war dazu nicht in der Lage. Erst elf Jahre später war die SPD reif für die Macht im Bund. Gissendanner/Vogel haben ein schönes Mikrobeispiel einer der wichtigsten Politikkarrieren des Landes beleuchtet. Die Rau-Forschung gewinnt an Schwung.

MARTIN TEIGELER

Scott Gissendanner, Dirk Vogel: Johannes Rau. Moralisch einwandfreies Scheitern, in: Daniela Forkmann, Saskia Richter (Hg.): Gescheiterte Kanzlerkandidaten, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, 439 Seiten, 34,80 Euro