Preußischblau

HOCHPROZENTIG Von den spaßfreien Wurzeln bemerkt man bei der Preußischen Spirituosen Manufaktur heute nichts mehr

Per Kabinettsorder wurde 1874 dem Branntweinwesen auf die Sprünge geholfen

VON SIBYLLE MÜHLKE
UND LARS KLAASSEN

„Am Anfang war Brandenburg.“ So beginnt der Historiker Christopher Clark sein Werk zur Geschichte Preußens. Dem kargen Landstrich haben wir nicht nur einen berüchtigten Staat zu verdanken. Vom profanen Kartoffelüberschuss früherer brandenburgischer Bauern führt ein direkter Weg zu hochprozentigen Kreationen, die heute von trinkfreudigen Hedonisten goutiert werden. Ein erster Blick auf den Ort des Geschehens lässt davon aber wenig erahnen: Seestraße, Ecke Amrumer Straße im Wedding ist ein unwirtlicher Verkehrsknotenpunkt, dem preußisches oder gar genüssliches Flair völlig fehlt. Auf ein großes Areal hinter hohen Eisengattern führen holprige Kopfsteinpflasterwege, flankiert von alten Ziegelbauten, die schon mal bessere Tage erlebt haben. Dass hier ambitionierte alkoholische Genüsse ihren Ursprung haben, verrät lediglich ein kleines Schild: PSM – Preußische Spirituosen Manufaktur.

Hochprozentige Räusche und Genüsse lassen sich hier nur schwer imaginieren. Doch darum ging es zunächst auch gar nicht. Per preußische Kabinettsorder wurde im Wedding 1874 die Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation gegründet. Bildung und Synergieeffekte waren schon damals angesagt: Um die Agrarpreise zu stabilisieren, kaufte man den preußischen Kartoffelüberschuss auf und wandelte ihn in Industriealkohol um. Weil das preußische Branntweinwesen im internationalen Wettbewerb nicht konkurrieren konnte, wurde überdies eine Forschungs- und Schulungsstätte für Brenner und Destillateure gegründet, die Versuchsanstalt für Brennereiwesen. Dass man Alkohol nicht nur in der Industrie nutzen kann, wussten selbst die alten Preußen. Nach der Jahrhundertwende war aus der kleinen Versuchsanstalt die florierende Preußische Spirituosen Manufaktur geworden. Mit Hightech wurde dort Schnaps mit Anspruch auf Weltniveau gebrannt, unter anderem „Deutscher Gin“.

Mit dem Ersten Weltkrieg kam die Schnaps- und Likörfabrikation zum Erliegen. Erst seit den 50er Jahren wird am alten Standort im Wedding wieder produziert, zunächst unter dem Label Versuchslikörfabrik am Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie. Doch der sperrige Name erwies sich als Verkaufshemmnis – bis Ulf Stahl und Gerald Schroff vor einigen Jahren das Ruder übernahmen. Seither firmiert der Betrieb wieder als Preußische Spirituosen Manufaktur. Der Universitätsprofessor des zur TU Berlin gehörenden Instituts und der Barmann haben zum einen den alten Namen reaktiviert. Die Destillateurin Janine Mlitzke wiederum schlägt mit ihrem Know-how eine Brücke aus der wechselvollen Geschichte des Betriebs bis in die Gegenwart. Sie ist die Dienstälteste des Vierpersonenbetriebs. Das Team greift zudem auf den Wissensschatz der altehrwürdigen Manufaktur zurück. Was akkurate Preußen seinerzeit in Sachen Alkoholgenuss erforschten, wurde dokumentiert – und wird bis heute genutzt.

In den Räumlichkeiten der Manufaktur lässt sich die lange Geschichte liquider Forschung überall erfahren. Da tummeln sich alte Apparate, die aus dem 19. Jahrhundert stammen und auch schon beim Dreh der Feuerzangenbowle am Set gestanden haben könnten. Dazu würde auch die historisch anmutende Schultafel am Kopfende eines der Räume passen, die noch in einem Holzrahmen vertikal verschoben wird. Die darauf geschriebenen, für Laien kryptische Formeln runden das geheimnisvolle Ambiente ab. Ein Holzregal, in dem unzählige Glasfläschchen alphabetisch aufgereiht stehen, ist an der Oberkante mit dem Metallschild „Drogen Duftorgel“ versehen. Im Nebenraum befindet sich wiederum das Aromenarchiv, eine Reihe größerer Glasbehälter, die diverse Flüssigkeiten beinhalten.

Die Gerätschaften und die Sammlungen bilden den Fundus der Preußischen Spirituosen Manufaktur. Doch auf der Basis des Alten entstehen auch neue Dinge oder besser gesagt: Technologien und Verfahren. Ein wenig stolz sind Schroff und Stahl auf den Oxi-Esterator. Dieses Gerät dürfte in der Wodkaherstellung weltweit einmalig sein. Erst nachdem der Wodka es tröpfelnderweise durchlaufen hat, erlangt das Getränk seinen runden, weichen, fast fruchtigen Geschmack. Neben Wodka und Gin, die unter der Marke Adler verkauft werden, konzentrieren sich die Erben Preußens vor allem auf die Herstellung von Likören: Neben verschiedenen Obstbränden finden sich auch ausgefallene Sorten wie etwa Nuss im Sortiment. Auch neue Produkte werden in der Manufaktur entwickelt. Derzeit laboriert das Team an einem Holunderblütenlikör. Bis wirklich alles stimmt, können über solche Experimente Monate vergehen.

Die ausgereiften Liköre und Schnäpse werden unter anderem in der Bar Tausend und im Adlon ausgeschenkt. Wer sich etwas mit nach Hause nehmen möchte, kann den Fabrikverkauf an der Seestraße aufsuchen: Im Erdgeschoss, direkt unter den Räumlichkeiten der Manufaktur, haben Schroff und Stahl eine Bar eingerichtet.

Clark schließt sein Preußen-Buch zwar mit: „Am Ende war nur noch Brandenburg“, aber das stimmt so lange nicht – solange die PSM preußischen Geist in Flaschen füllt.

www.preussische-spirituosen-manufaktur.de