„In den USA droht eine Milliardenstrafe“

Der Rücktritt von Vorstandschef Kleinfeld dient auch dazu, die mächtige US-Börsenaufsicht zu beruhigen

BIRGIT GALLEY, 36, Betrugsermittlerin, Direktorin des Berliner „Institute Risk & Fraud Management“

taz: Frau Galley, Siemens hat eingeräumt, Schmiergelder von rund 420 Millionen Euro gezahlt zu haben. Ist es denkbar, dass der Vorstand davon nichts wusste?

Birgit Galley: Es ist schwer vorstellbar, dass das einem Vorstand untergeht. Die Kontrollinstrumente haben hier offensichtlich nicht ausreichend funktioniert.

Was folgt daraus?

Zunächst einmal kann es für Siemens richtig teuer werden. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC ermittelt ja, und da sind Strafen bis zu 2 Milliarden Dollar möglich. Das lässt sich nicht mehr aus der Portokasse begleichen. Es kann sogar passieren, dass die SEC Siemens von den US-Börsen streicht. Das wäre faktisch der Tod des Unternehmens. Hinzu kommt, dass das deutsche Recht Bußen in Millionenhöhe vorsieht.

Und wie steht es mit der Verantwortung Einzelner?

Wer sich konkret an den Schmiergeldzahlungen beteiligt hat, der ist auch strafrechtlich verfolgbar.

Neben der SEC sind ja auch deutsche Staatsanwälte bei Siemens unterwegs. Haben sie eine Chance, in die Interna der Firma einzudringen?

Die Staatsanwälte kommen meist an das relevante Material. Viele Informationen liegen ja nicht nur im Unternehmen, sondern auch bei externen Firmen und unbeteiligten Dritten. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften Wirtschaftskriminalität sind ernst zu nehmende Gegner für die Täter.

Gibt es genug Ermittler?

Die Staatsanwaltschaften müssten viel besser ausgestattet werden. Dabei geht es nicht nur um Geld. Vielen fehlt auch das Know-how bei der Betrugsermittlung.

Besorgnis erregt gewöhnlich noch die Dunkelziffer?

„Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften sind ernst zu nehmende Gegner für die Täter“

Das ist sehr schwer zu sagen, weil das Dunkelfeld unbekannt ist. Aber man schätzt, dass nur 5 bis 10 Prozent der Fälle von Wirtschaftskriminalität öffentlich bekannt werden. Das heißt nicht, dass der ganze Rest unentdeckt bleibt. Aber etwa 80 Prozent der betroffenen Firmen erstatten keine Anzeige, wie ich nach 12 Jahren als Betrugsermittlerin schätzen würde.

Was würden Sie Siemens jetzt raten?

Sie brauchen speziell ausgebildete Risikomanager, die in der Lage sind, betrügerische Strukturen zu entdecken.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN