Ulrich Mückenberger, Jurist und Zeitforscher
: Der Zeitgestalter

ULRICH MÜCKENBERGER, 62, verbringt seine Zeit mit musizieren. Er spielt Klarinette in einem Orchester FOTO: PRIVAT

Die Forschungsdisziplin des Ulrich Mückenberger heißt: Zeitpolitik. Ganz jung ist seine Wissenschaft und nicht vielen ist ihr Name geläufig, obgleich der Mensch sich in allen Epochen mit ihrem Anliegen befasste: den Takt des gesellschaftlichen Alltags, seine Organisation, zeitlich sinnvoll zu gestalten. „Moderne Zeitpolitik hat zum Ziel, jedem Menschen die Teilhabe an dem sozialen und kulturellen Leben zu ermöglichen, das in und jenseits der Arbeit stattfindet.“ So steht es im Manifest der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Einer ihrer Gründer war der in Bremen lebende Mückenberger, der die Forschungsstelle Zeitpolitik in Hamburg leitet und Arbeits- und Sozialrecht an der dortigen Universität lehrt.

Gemeinsam mit sechs wissenschaftlichen Mitarbeitern sucht der 62-Jährige nach strukturellen Konflikten in der bislang recht unkoordinierten gesellschaftlichen Zeitgestaltung. Wo existieren Unstimmigkeiten zwischen Arbeits- und Kindergartenzeiten? Wo laufen Mobilitätszeiten den Zeiten kultureller Angebote entgegen? „Bibliotheken haben oft gerade dann geschlossen, wenn die Menschen Zeit zu lesen haben“, sagt Mückenberger. In Amsterdam und Rotterdam organisierte sein Team die Öffnungszeiten der Bibliotheken neu. Nun, da diese Sonntags geöffnet haben, würden sie sogar Familien besuchen. Neue kulturelle Formen und Betätigungen seien daraus hervorgegangen.

Während einer Forschungstätigkeit in Italien, dem Geburtsland dieser Wissenschaft, kam der studierte Jurist Mückenberger Anfang der 1990er das erste Mal mit zeitpolitischen Konzepten in Berührung. Als Arbeitsrechtler hatte er oft mit Streitfragen über Arbeitszeiten zu tun.

Auch privat ist Ulrich Mückenberger zeitpolitisch aktiv: Um Freiräume zum Schreiben und Musizieren zu öffnen, um persönliche Zeitsouveränität zu gewinnen legte er 2001 als Professor ein Sabbatjahr ein, ließ sich zuvor zwei Jahre auf ein 2/3-Gehalt setzen. „Das Tolle war“, sagt Mückenberger, „für diesen Zeitraum schaffte ich einen zusätzlichen Arbeitsplatz.“ Konturen eines zeitpolitischen Denkens, dessen Bedeutung die Politik noch nicht erkannt hat. MJK