DISKUSSION UNTER OLIVENAUGEN (KARTOFFELN MAL BEISEITE GELASSEN)
: Muss sich Mama vom IS distanzieren?

DENIZ YÜCEL

Bislang galt hierzulande die Regel: Wann immer Sie den Fernseher anschalten, Sie werden mindestens einmal Hitler finden. Quasi HTV. Doch derzeit macht der „Islamische Staat“ dem Führer dieses Privileg streitig. Am Sonntag zum Beispiel die ARD. Reinstes IS-TV: Die Nachrichten, dazu „Presseclub“, „Weltspiegel“, „Lindenstraße“, „TTT“. Noch kein Dschihad-„Tatort“, aber dafür „Günther Jauch“.

Kurz vor Schluss wird es da interessant: Bilder von der britischen Kampagne #NotInMyName werden eingeblendet, dann fragt Jauch den Berliner Imam, ob er sich dem anschließen würde. „Auf jeden Fall, voll und ganz“, antwortet Abdul Adhim Kamouss, der nicht gewillt ist, die Rolle des hinterwäldlerischen Hasspredigers zu spielen, die ihm die Redaktion offensichtlich zugedacht hat. Die Spiegel-Redakteurin Özlem Gezer widerspricht ihm: „Das ist ja absurd, was du sagst. Warum soll meine Mutter als praktizierende Muslimin sich auf den Hamburger Rathausmarkt stellen und sagen, dass sie gegen IS ist?“

Jauch, darin geübt, keine Gelegenheit zu verpassen, eine Gelegenheit zu verpassen, verpasst auch diese nicht. So entgeht ihm die interessante Konstellation: Der konservative Imam heißt die Distanzierungsaktion gut, während die säkulare, womöglich atheistische Nannen-Preisträgerin sie für absurd hält.

Diesen Streit findet man auch andernorts – und nicht nur bei Kartoffeln, die eine Kampagne wie #NotInMyName entweder gönnerhaft begrüßen („Super, mehr davon“) oder paternalistisch zurückweisen („Was haben die Muslime damit zu tun?“). Ungefähr argumentieren auch die Olivenaugen. Nun kann man sagen, dass Muslime oder Leute aus muslimischen Ländern seit dem 11. September einem ständigen Verhör ausgesetzt sind. Aber dass dieser Rechtfertigungsdruck, wie jüngst von Katajun Amirpur in der taz behauptet, anlässlich des IS besonders stark ist, würde einer empirischen Überprüfung vermutlich nicht standhalten. Dafür würde, jede Wette, eine empirische Überprüfung folgenden Eindruck bestätigen: Es sind eher Leute, die mit Religion nicht viel am Hut haben und/oder Teil der öffentlichen Debatte sind, die aus guten Gründen Distanzierungsgesten ablehnen. Andererseits sind es eher Leute, die nicht als Journalisten oder Professoren gefragt werden und/oder eher religiöse Menschen, die dieses Bedürfnis haben – so wie nach Mölln und Solingen manche einfachen Deutschen ihre Scham ihren türkischen Nachbarn mitteilen wollten.

Heute empfinden viele Muslime ein ähnliches Bedürfnis. Und derlei Distanzierungen sind auch in der islamischen Welt zu hören, ob von konservativen Imamen in Saudi-Arabien oder den „Antikapitalistischen Muslimen“ in der Türkei. Vermutlich erkennen fromme Muslime viel eher als säkulare oder atheistische Olivenaugen, dass der IS sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun hat: die Begriffe, die Referenzen, die Riten. Genau darum wollen sie sich abgrenzen. Ihnen diesen Wunsch abzusprechen aber ist nicht weniger bevormundend als die herrische Forderung nach Distanzierung.

Mittwoch Martin Reichert Erwachsen

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Freitag Meike Laaff Nullen und Einsen

Montag Maik Söhler Darum

DienstagJacinta NandiDie gute Ausländerin

Besser: Es distanziert sich ein jeder, wovon er will, wie er will.