Visionärer Mussolini

Wem die Gebühr gebührt (4): Jeder dritte Italiener pfeift auf die Zahlung des Rundfunkabos, doch das stört keinen

Jedes Jahr im Januar ist es wieder so weit: Italiens TV-Zuschauer bekommen auf allen Kanälen der staatlichen RAI massive Eigenwerbung des Senders geboten. Ein Spot nach dem anderen präsentiert die Anstalt als großen Freund der Zuschauer. „Wir lassen dich nie allein“, hieß im Jahr 2007 das Motto, unter dem die populärsten Fernsehgesichter ihren Kunden auf die Pelle rückten. Was da als Versprechen daherkam, war eigentlich eine Drohung: Die Werbefilmchen sollten daran erinnern, dass spätestens am 31. Januar die jährliche Rundfunkgebühr von 104 Euro zu zahlen ist, ansonsten werden ab 1. Februar Strafzuschläge fällig.

Rundfunkgebühren wurden in Italien schon 1938 eingeführt, und vorausschauend hatte Benito Mussolini das Gesetz seinerzeit, als es noch gar keine Fernseher und erst recht nicht Computer gab, so formuliert, dass es eine allgemeine Gerätesteuer darstellt; es betrifft nämlich alle „Empfangsgeräte oder Geräte, die empfangsbereit gemacht werden können“. Faktisch aber wird das „abbonamento RAI“, das „Abonnement“ für den Staatssender, bloß für ein TV-Gerät pro Familie eingetrieben und deckt auch gleich noch die Ferienwohnung der Eltern genauso wie die Studentenbude der Kinder ab.

Das war seit 1938 immer schon so – und vorerst wird es auch so bleiben. Eine ernsthafte politische Debatte über die Rundfunkgebühr hat es in Italien bisher nicht gegeben. Bloß die Rechtspopulisten der Lega Nord unter Umberto Bossi fordern immer mal wieder einen Gebührenstreik, weil ihnen der Sender als Organ des verhassten Zentralstaates gilt. Die anderen Parteien dagegen wissen, was sie an der RAI haben. Formal eine AG, die zu 99 Prozent dem Schatzministerium gehört, wird die RAI faktisch vom Parlament kontrolliert, mit Erstzugriff der Regierungsmehrheit auf die wichtigsten Posten und einer Minderheitenquote für die Opposition. Das macht die Nachrichten- und Magazinsendungen zu einer eintönigen Veranstaltung, in der meist äußerst willfährige Journalisten den Politikern das Mikrofon hinhalten und recht selten durch peinliche oder bloß bedrängende Fragen auffallen.

In der Abteilung „Entertainment“ dagegen ist die RAI kaum vom privaten Berlusconi-Konkurrenten Mediaset zu unterscheiden: Die gleichen Game-Shows, die gleichen Reality-Shows, die gleichen öden VIP-Klatsch-Magazine kommen im Quotenwettlauf zum Einsatz. Eigentlich ein guter Grund für eine Gebührendebatte. Doch auch wenn stolze 30 bis 35 Prozent der Italiener sich um die Zahlung der Rundfunkgebühren drücken, argumentiert kaum jemand mit der miesen Qualität. Im Gegenteil: Wenn schon Trash, dann am liebsten den von Mediaset. Der ist wenigstens umsonst. MICHAEL BRAUN, ROM