„Es gab hunderte solcher Fälle“

Ex-Innenminister Baum verteidigt in der RAF-Debatte die Sicherheitsorgane – und sich

BERLIN taz ■ In der Debatte über mögliche Ungereimtheiten in der Aufklärung des RAF-Mordes im Jahre 1977 an Siegfried Buback rückt die damalige SPD-FDP-Bundesregierung stärker in den Mittelpunkt. Nach Erkenntnissen des Parlamentarischen Kontrollgremiums gab es von Seiten des Verfassungsschutzes keinerlei Versäumnisse bei der Übermittlung von möglicherweise entscheidenden Zeugenaussagen über den Tathergang.

Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft wussten demnach frühzeitig über die Aussage der Ex-RAF-Terroristin Verena Becker Bescheid, die 1981 Stefan Wisniewski als Mörder von Generalbundesanwalt Buback belastete.

Trotz der jüngsten Wendung sieht der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sich und die ihm damals unterstellten Behörden keineswegs in Erklärungszwang. An den Vorgang könne er sich „nicht erinnern“, es habe „hunderte solcher Vorgänge gegeben“. Die Sicherheitsorgane hätten „einwandfrei gearbeitet“ und sein Ministerium sei damals nicht für die Strafverfolgung, sondern lediglich für die Fahndung zuständig gewesen. „Uns haben deshalb nur Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt interessiert, die ja noch auf freiem Fuß waren“, sagte Baum der taz. Der damalige Präsident des BKA, Heinrich Boge, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Damit bleibt die Frage, warum die Aussage Beckers nicht in den Buback-Prozess Eingang fand, weiter ungeklärt. Generalbundesanwältin Monika Harms hatte am Mittwoch eingeräumt, es gebe konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Hinweise über eine mögliche Beteiligung Wisniewskis mehreren Bundesanwälten damals bekannt waren, die Hinweise aber für „nicht gerichtsverwertbar“ befunden wurden. Baum unterstellte der Bundesanwaltschaft dafür „gute Gründe“. Entweder „wollten sie Becker schützen oder sie haben ihr nicht geglaubt“, sagte Baum.

Unterdessen wächst die Kritik an der öffentlichen Debatte über die Neubewertung des Buback-Mordes – auch von linker Seite. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linksfraktion sagte im SWR mit Blick auf diverse Fernsehdebatten, Medien und Öffentlichkeit müssten sich fragen, wie weit sie „verurteilten Verbrechern eine Bühne bieten“. Respekt äußerte Pau für Michael Buback, der wie alle Opferangehörigen das Recht habe, „seinen Weg der Verarbeitung zu finden“.

Der ehemalige Präsident des BKA, Hans-Ludwig Zachert, kritisierte die Debatte. Dem ZDF sagte Zachert, die laufende Diskussion sei „rein täterbezogen“ und spiele den Exterroristen in die Hände. Heute sei die RAF wieder in den Medien allgegenwärtig wie seinerzeit in den 70er-Jahren, sagte Zachert dem ZDF. Zudem äußerte er Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen von Exterrorist Peter-Jürgen Boock, der kürzlich ebenfalls Wisniewski als den eigentlichen Buback-Attentäter genannt hatte. Boock sei bekannt als ein Mann, „der es mit der Wahrheit nicht so sehr ernst nimmt“.

Veit Medick

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