Alles neu macht der Mai

Beim diesjährigen Revolutionären Jubiläumsmai haben sich alle Beteiligten lieb. Das hat es in der 20-jährigen Geschichte noch nicht gegeben. Die Demonstranten dürfen sogar durchs Myfest ziehen

Wer hätte das erwartet? Nicht nur dass sich alle linken Gruppen zum Jubiläumstag des „Revolutionären 1. Mai“ geeinigt haben. Die 18-Uhr-Demo ruft zum Mayday auf. Die Mayday-Organisatoren vertragen sich mit den Veranstaltern der 13-Uhr-Demo. Nun dürfen die 18-Uhr-Leute auch durchs Myfest ziehen (Text oben). Dient das alles der Vorbereitung auf den G-8-Gipfel (Text unten)?

VON TIEMO RINK

Eigentlich ist alles wie immer: Viele linke Gruppen organisieren viele Demonstrationen rund um den 1. Mai. Daran ändert sich auch in diesem Jahr nichts. Neu ist bloß: Die Organisatoren der „Revolutionären 1. Mai Demo“ um 18 Uhr und des „Myfests“ haben sich gemeinsam darauf verständigt, dass die Demo das Festgelände rund um den Kreuzberger Heinrichplatz durchqueren darf. Zum 20. Jahrestag des legendären „Revolutionären 1. Mai“ haben sich alle lieb.

Als Veranstalter des Myfests lag die endgültige Entscheidung über die Demoroute beim Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Der stimmte nach einem Koordinierungsgespräch den Plänen gestern zu – und stellt sich damit gegen die Einschätzung der Polizei, die dem Verlauf der Demo mit großem Bedenken entgegensieht. Die Einsatzleitung befürchtet Ausschreitungen, wenn die Demonstrierenden sich mit den Teilnehmern des Myfests vermischen.

Bereits am 30. April findet wie schon im vergangenen Jahr ab 14 Uhr mit Konzerten und Kundgebungen auf dem Boxhagener Platz in Friedrichshain eine Walpurgisnachtfeier statt. Vor der wohl anspruchsvollsten Aufgabe stehen die Veranstalter einer Demonstration um 18 Uhr am Heinrichplatz: Die Gruppe mit dem Namen „Theorie.Organisation.Praxis (T.O.P.)“ will das seit Jahren immer gleiche Ritual am 1. Mai, „bei dem sich Polizei, Medien und die letzten Autonomen die Bälle in die Hände spielen“ durchbrechen – und demonstriert deshalb am Abend davor. Ihr Leitsatz: Statt Verbesserungsvorschläge zu machen, solle „das Bestehende bis auf die Grundmauern niedergerissen werden“.

Auf die längste Tradition zurückblicken können die Gewerkschaften mit ihrer 1.-Mai-Demonstration, die um 10 Uhr an der Berliner DGB-Zentrale in der Keithstraße nahe Wittenbergplatz beginnt und um 11 Uhr vor dem Brandenburger Tor mit einer Kundgebung endet. Eine Demonstration der altbekannten maoistischen Gruppen wird ebenfalls wie gewohnt am 1. Mai um 13 Uhr vom Oranienplatz aus starten.

Zur gleichen Zeit beginnt zwischen Oranienplatz und Görlitzer Bahnhof das Myfest. Wieder startetwerden Bands auf neun Bühnen bis in die späte Nacht hinein das Kreuzberger Publikum beglücken. Angekündigt haben sich unter anderem Ton Steine Scherben Family – die Nachfolgeband von Ton Steine Scherben.

Der Newcomer des vergangenen Jahres ist die Mayday-Parade. Nachdem sich im vergangenen Jahr auf dieser Demonstration mehr als 6.000 Menschen für „globale soziale Rechte“ aussprachen, lautet das Motto 2007: „Hol dir dein Leben zurück! Solidarität statt Prekarität“. Der Mayday beginnt um 14 Uhr auf dem Lausitzer Platz. Von dort aus soll es zum Hermannplatz nach Neukölln gehen. Besonderes Schmankerl: Beim Auftaktkonzert tritt die Berliner Künstlerin Bernadette la Hengst auf.

Die „Revolutionäre 1. Mai Demo“ um 18 Uhr beginnt ebenfalls am Lausitzer Platz. Ihr Motto: „G 8 stoppen! Imperialistische Kriege verhindern! Kapitalismus abschaffen!“ Anmelder Michael Kronawitta hat sich für die zu erwartenden Spitzel eine ganz besondere Aktion ausgedacht: Mit der Aufschrift „Problem Polizei“ auf auffälligen Pappschildern sollen bekannte Beamte in Zivil „geoutet“ werden. Zusätzlich werden die Demonstrierenden aufgefordert, eventuelle Übergriffe der Polizei mit Hilfe von Fotohandys zu dokumentieren und per MMS-Nachricht an eine zentrale Nummer zu senden. Mit rund 100 Zivilbeamten wird gerechnet.

Mit dieser, so Kronawitta, „aktiven Polizeibeobachtung“ soll Rechtsanwälten im Klagefall Beweismaterial geliefert werden. Gleichzeitig wollen die Veranstalter der Demonstration mit der Aktion auf ihre seit Jahren geforderte Kennzeichnungspflicht für Polizisten aufmerksam machen.

Nicola Rothermel, Sprecherin der Innenverwaltung, sieht dem geplanten Fotoshooting gelassen entgegen. „Die Polizei hat sich nichts vorzuwerfen.“ Es sei „nie auszuschließen, dass sich mal ein einzelner Polizist oder Demonstrant danebenbenimmt“, aus Sicht des Innensenators sei es jedoch „allemal besser, die Demonstrierenden fotografieren, als dass sie Steine schmeißen“, sagte die Sprecherin zur taz.