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Von Kirmestruppe vorgeführt

Der heiße Abstiegskandidat Alemannia Aachen verliert mit einem dreist desinteressierten Jan Schlaudraff das fünfte Mal in Folge und setzt trotzig auf bekannte Durchhalteparolen

„Die Fans sind enttäuscht und haben Angst“, sagte Jörg Schmadtke

AUS AACHEN BERND MÜLLENDER

Selbst im Aachener Juniorblock, wo die Begeisterung um die schwarz-gelben Helden besonders hingebungsvoll ist, stand die Stimmung am Ende auf Sturm: Einige Kinder pfiffen ihre Lieblinge tatsächlich aus, als sie nach dem traurigen 0:4 von Platz schlichen. Alemannia hatte bei der achten Heimniederlage mit bislang 35 Gegentoren daheim eine grotesk wehrlose Vorstellung abgeliefert. Die Tivosi aller Altersklassen waren gründlich bedient.

Michael Frontzeck blieb indes wie gewohnt lethargisch kühl. Aachens introvertierter Trainer, der seit Wochen stur auf das falsche Personal setzt (Ibisevic, Pinto, Herzig, Schlaudraff) und damit das Publikum zur Weißglut treibt, hatte zwar einen „bösen Nackenschlag“ erlebt, gibt aber weiter den Optimisten: „Wir haben schon viele schwierige Phasen gemeistert.“ Zuzugeben war immerhin: „Die zweite Halbzeit war eine Vorführung.“

Sportdirektor Jörg Schmadtke, wirklich schlecht gelaunt und nicht nur Brummbär aus Attitüde, sprach von einem „zeitweiligen Auseinanderbrechen“. Die Wut des Publikums? „Das verstehe ich. Die Fans sind enttäuscht und haben Angst.“ In der Summe war das vor dem Kellerhit in Frankfurt eine Bankrotterklärung. Gestern entschied man, ab dem Tag der Arbeit ins Trainingslager nach Bitburg umzuziehen. „Die Mannschaft selbst hat darum gebeten, die Abgeschiedenheit zu suchen“, so Schmadtke, um zum Eintracht-Spiel „in aller Ruhe einige grundlegende Dinge zu erarbeiten“.

Die Empörung am Samstag fokussierte sich besonders auf den eigentlichen Hoffnungsträger, Nationalkicker Jan Schlaudraff. Dessen Einsatz und Wirkung waren identisch: nahe Null – wie schon so oft, seit er sich für den FC Bayern schont. Frontzeck sah sein Versteckspiel im hinteren Mittelfeld mit nachsichtiger Softironie: „Jan hat seine Rolle etwas zu tief interpretiert.“

Selbst als kurz vor Schluss Sergio Pinto schmerzverzerrten Gesichts mit Wadenkrampf im Hertha-Strafraum lag, blieb Schlaudraff unbeteiligt: Er stand daneben und drehte cool ab, wütend ausgepfiffen von den eigenen Fans – stattdessen kümmerte sich Hertha-Keeper Jens Fiedler demonstrativ beklatscht um den maladen Gegner. War der Baldmünchner zu erschöpft? Alemannias Pressesprecher wurde gebeten, „den Jan, wenn er noch in der Lage sein sollte“, in die Mixed Zone zu bitten. Antwort: „Ich weiß nicht, er wirkt sehr ausgepumpt.“

Hertha hatte sich keineswegs überragend präsentiert. Die Berliner spielten einen netten Kombinationsfußball, aber selten zwingend. Eine technisch brillante Kirmestruppe mit erkennbaren Stellungsproblemen in der Abwehr, die sofort wanken würde, wenn sie nur mal ein Gegentor bekommen hätte. Stattdessen genügten Einwechselspieler Marko Pantelic gegen Aachens Scheindefensive nach elf torlosen Spielen ganze vier Minuten zum ersten Treffer nach 856 Minuten Frust.

Aachens Mischung aus Lethargie und Verkrampfung löste erregte Debatten aus, ob das Team nicht mehr könne oder wolle – oder beides. Die Zusammensetzung der Elf scheint strategisch verfehlt: Manche spielen ohnehin ihre letzten Minuten in Aachen runter (Schlaudraff, Pinto, Dum, Sichone), anderen werden gute Angebote nachgesagt und eine vertragliche Abschiedsklausel im Abstiegsfall (Rösler, Reghecampf, Leiwakabessy). Da gibt man statt der branchenüblichen 110 Prozent womöglich nur 100, wenn überhaupt.

Vielleicht liegt alles nur am Wetter. Jahrzehntelang wusste man um die Frühjahrsschwäche: Wenn die Bäume ausschlagen, schlägt Aachen keinen Gegner mehr. So wurde Jahr auf Jahr der Aufstieg meteorologisch verdaddelt. Im Vorjahr hatte Trainer Dieter Hecking zum Rückrundenstart gesagt, man müsse auf einen langen strengen Winter hoffen; der kam und früh am 16. April war Alemannia aufgestiegen. 2007 trieben die Gewächse schon Ende März. Seitdem setzte es nur noch Niederlagen, gegen Hertha war es die fünfte am Stück.

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