Gesang, Gitarren und Gedanken

FOLKROCK Die US-Band Fleet Foxes ist die Speerspitze des Folkrevivals und sticht durch obsessiven Einsatz von Chorgesang hervor. Heute spielen sie in Berlin

Längst ist die Rede von einem Folkrevival. Eines, das nicht wie in den Sechzigern den Protest ins Zentrum rückt, sondern Bärte, akustische Gitarren und Naturromantik. Verantwortlich sind dafür die Fleet Foxes aus Seattle. 2008 veröffentlichten sie ihr Debütalbum, das heute schon als Klassiker gilt und Bands wie Iron & Wine, Band Of Horses oder Bon Iver den Weg ebnete.

Warum jedoch sind die Fleet Foxes erfolgreicher als jede andere Band, die unter dem Etikett Folk firmiert? An ihrem Aussehen kann es nicht liegen. Zumindest nicht mehr. Der Look aus karierten Hemden, Motorradboots, strähnigen Haaren und dem wichtigsten Accessoire, dem Vollbart, ist Konsens geworden. Praktisch keine Band, die Wert auf Glaubwürdigkeit legt, kann sich heute noch glatt rasiert in die Rock-Arena wagen. Es wurde sogar darüber philosophiert, welchen Einfluss Bärte auf die Musik haben. Allerdings steckt mehr hinter den Fleet Foxes als ihre fusselige Gesichtsbehaarung.

An der Thematik der Band kann es auch nicht liegen. Quasi die gesamte Indie-Avantgarde maskiert sich mit möglichst hohem Freakfaktor. Ganze Alben handeln von Bäumen. Dabei leben die Bands alle ausnahmslos in Großstädten, sehen aber aus wie Waldarbeiter und geben sich Tiernamen: Grizzly Bear, Caribou und natürlich die Fleet Foxes. Bei ihnen heißen Songs „Blue Ridge Mountains“ oder „Ragged Wood“. Doch ihre Musikalität überstrahlt alles Kokettieren mit dem Ländlichen.

Vermutlich könnte man sagen, dass die Fleet Foxes Songs schreiben, in denen nicht viel mehr passiert als Gesang, Gitarren und Gedanken. Man kann sich aber auch vorstellen, dass sie nicht mal Gedanken oder Gitarren brauchen, um großartige Songs zu schreiben. Die große Stärke der Fleet Foxes ist das Zusammenspiel der Stimmen zwischen Robin Pecknold und den Chören um ihn herum. Wie kleine Hall-Aggregate verändern sie die akustische Raumwahrnehmung, transportieren Melodien von der Veranda in Kirchengemäuer und zurück. Der Keyboarder Casey Westcott sagt, dass die Band in jeder freien Minute singen würde. Man glaubt es ihm.

Und letztlich liegt dort der Schlüssel des Erfolgs der flinken Füchse: Die Fokussierung auf den Gesang macht es dem Zuhörer einfach, der Band zu folgen. Die Komplexität der Harmonien kommt so eingängig daher, dass man sie leicht überhört. Crosby, Stills, Nash & Young funktionierten einst genauso. Und auch das zweite Album der Fleet Foxes, „Helplessness Blues“, unterscheidet sich darin nicht vom selbst-betitelten Debüt. Als Essenz über all den Vibrafonen, Zithern und Lauten schwebt vielstimmige Sanftmütigkeit, manchmal an der Schwelle zum Sakralen. Dass die altmodische Vertrautheit nicht abgegriffen klingt, ist das eigentliche Verdienst der Fleet Foxes. Pecknold hatte trotzdem Phasen, in denen er dachte, er müsste etwas Abgefahrenes machen. „Nach zwei Tagen schämst du dich über diesen Ansatz und machst wieder das, was dir liegt“, sagt der Sänger. Das größte Experiment auf dem neuen Album bleibt das achtminütige „The Shrine/An Argument“, dessen folkiger Beginn in ein free-jazz-artiges Bassklarinetten-Solo mündet.

Pecknold hat an „Helplessness Blues“ so obsessiv gearbeitet, dass sich beinahe seine Freundin von ihm getrennt hätte. Das Album beginnt er mit der Frage: „So now I am older than my mother and father/When they had their daughter/Now what does that say about me?“ Der Musiker kämpft mit der eigenen Selbstsüchtigkeit. Doch wenn er weiter solche Songs schreibt, wird ihm keine Alternative bleiben.

ROBERT IWANETZ

■ Heute, 20 Uhr, Columbiahalle