piwik no script img

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Morgen ist der 1. Mai, was ist da nicht alles passiert: Russland schoss ein Flugzeug ab, in Kreuzberg brannten Supermärkte, und Tony Blair enterte das Unterhaus. Was die Zukunft bringt? Erst mal die Fusion von Ikea und DGB

Beim Raketenschild handelt es sich um eine Waffe, die sich ihren passenden Feind erst schaffen muss. Viel dümmer geht’s nicht

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?

Friedrich Küppersbusch: Beck fährt den Streit mit der CDU an nicht nachvollziehbaren Themen hoch.

Was wird besser in dieser?

Beck liest taz und setzt, siehe Frage zu Blair, Prioritäten neu, gern geschehen, das ist doch kein Thema, Kurti, wir Zweitligisten müssen doch zusammenhalten, logo.

Morgen ist der 1. Mai, der Tag der Arbeit. Haben die Demonstrationen heute noch einen Sinn oder sind sie ein bedeutungsloses Ritual?

„Du hast mehr verdient“, slogant der DGB dieses Jahr wie Ikea. Während Ikea mit „Mehr Schlaf für alle“ ungefähr für das wirbt, was auch Arbeitnehmer unter dem Tag verstehen. Das spricht mittelfristig für eine Fusion beider. (Die DGB-Chefs Lasse Vorbeilaufen und Michael Mittsommer erklärten auf der zentralen Kundgebung, es seien noch Restposten da, und man lasse sich von niemandem den Köttbullar vom Wasa nehmen.) Dahinter verwendet die DGB-Agitation dieses Jahr den Begriff „Respekt“ ohne ihn auf Migrationspolitik zu verengen – schlau, endlich: Weder Gewerkschaft noch Arbeitnehmer werden ernst genommen beim Durchmarsch der Standortenführer, und genau diese Erkenntnis scheint langsam angekommen. Es ist noch Hoffnung !

Der 1. Mai wurde von den Nationalsozialisten 1933 zum gesetzlichen Feiertag („Tag der nationalen Arbeit“) bestimmt. Hat das die Bedeutung des Tages nachhaltig geändert?

Hier in Dortmund wurden Arbeiter ins KZ verschleppt, weil sich noch ’34 an Mallinckrodtstraße und Borsigplatz am Maifeiertag rote Fahnen aus den Fenstern hängten. Umso erbaulicher, dass die NPD dieses Jahr hier einen „Tag der nationalen Arbeit“ verüben will. Ergäbe ja, dass ältere Mitbürger den jungen Nazis zuriefen: „Unter Adolf wärt ihr ins KZ gekommen!“, und da sind wir aber mal froh, dass in den fraglichen Straßen heute bevorzugt Migranten wohnen, die so’n Scheiß nicht sagen. Jedenfalls nicht auf Deutsch. Übrigens waren beim „Haymarket-Riot“ in Chicago, der zum 1. Mai als Arbeiterfeiertag führte, acht Rädelsführer verurteilt worden, sechs davon: Deutsche. Das ist zwar 120 Jahre her, aber die NPD sollte schon von den USA die Herausgabe fordern.

Am 1. Mai 1960 schossen sowjetische Truppen über Russland ein U-2-Spionageflugzeug der USA ab. Die Amerikaner stellten deshalb die Spionageflüge keineswegs ein. Stehen ähnliche Konflikte mit dem neuen Raketenschild von George W. Bush wieder an?

Strategisch gesprochen ist ein „Raketenschild“ wohl eine „symmetrische“ Antwort auf eine asymmetrische Lage: Seit dem 11. 9. ist „Raketenschild“ als Technikdino vorgeführt. Es handelt sich also um eine Waffe, die nicht einen vorhandenen „Feind“ meint, sondern um eine, die ins Leere drohend sich ihren passenden Feind erst schaffen muss. Noch viel dümmer geht’s nicht.

Am 1. Mai 1987 brannten ein Bolle-Supermarkt und diverse Autos in Berlin-Kreuzberg, viele Demonstranten bauten Barrikaden und plünderten Geschäfte. Die Polizei zog sich aus Angst zurück. Das wirkt aus heutiger Sicht fast surreal. Warum?

Weil das mitursächliche Thema „Wohnungsnot“ in Berlin seit 18 Jahren mächtig gelindert ist. Es hat halt schon was Folkloristisches und ist mir von der ebenso bescheuerten „dritten Halbzeit“ beim Fußball nur schlecht zu unterscheiden. Der Kampf um die Hausbesetzungen ist vorbei, und wo es um Immobilienterrorismus geht, wird er jedenfalls nicht durch Kreuzberger Maikrawalle thematisiert.

Am 1. Mai 1997 hat die Labour Party unter Tony Blair die Wahlen zum britischen Unterhaus gewonnen und 18 Jahren Opposition beendet. Bald scheidet Blair aus dem Amt. Was hat er erreicht – und wie weit die deutsche Politik verändert?

Größer als Blair und Schröder, „New Labour“ und „Old Hirsch“, scheint der Unterschied nicht sein zu können. Blair konnte auf einer grundlegenden Neuerfindung sozialdemokratischen Programms aufbauen, Schröder ersetzte eine komplette Partei durch seine Intuition. Bei der Gelegenheit zu Protokoll zu nehmen, dass die sozusagen contentgestützte Version schon drei Jahre länger läuft. „New Labour“ war, nach Ewigkeiten Opposition, die Verwirtschaftlichung alter so$zialdemokratischer Positionen. Die SPD müsste, umgekehrt, erst mal die Sozialdemokratisierung ihrer Wirtschaftspolitik hinbekommen.

Am 1. Mai 1999 wird Nauru Vollmitglied des Commonwealth of Nations. Was zeichnet die kleinste Republik der Welt aus?

Dass sie, wenn man bei Wikipedia Fragen und Antworten für diese Kolumne generiert, irgendwann auch drankommt? Wie auch die jeweils ersten Maitage 1775 (in Wien wird der Augarten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht), 1844 (schwere Ausschreitungen in München nach fast 30-prozentiger Erhöhung der Sommerbierpreise) und 1974 (Wiederholung der theoretischen Fahrprüfung für Punktesünder wird obligat).

Am 1. Mai 2003 hat US-Präsident Bush größere Kampfhandlungen im Irak offiziell für beendet erklärt. Wie stellt sich für Sie die Lage vier Jahre später da?

Mir fällt spontan kein schlechterer Präsident als dieser mehr ein.

Und was werden Sie am 1. Mai machen?

Bücherregal einräumen („Tag der Trauerarbeit“, ich muss welche wegwerfen, das geht so nicht weiter.) Radfahren („… der Beinarbeit“).

Und was macht die Borussia Dortmund AG?

Rettet den Arsch knapp in die nächste Saison, kann das Stadion schmücken für die Meisterfeier der Unaussprechlichen und die vorsorglich geblockte Domain www.50-jahre-kein-deutscher-meister.de festlich verbrennen.

FRAGEN: DAH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen