Große Koalition hinkt – Kurt Beck sinkt

Die Regierungsparteien arbeiten mit Schuldzuweisungen und Drohungen ihren Koalitionskrach der vergangenen Woche auf. Das schafft gleich wieder neuen Ärger. Derweil verzweifelt die SPD immer mehr an sich selbst – und ihrem Vorsitzenden

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Es war das Wochenende nach dem Klimasturz in der großen Koalition, und da schlug in den Sonntagszeitungen und Nachrichtenmagazinen erwartungsgemäß die Stunde der routinierten Interviewgeber, die den Krach der Vorwoche interpretierten – und damit ganz folgerichtig neuen Ärger auslösten.

Vizekanzler Franz Müntefering im Focus, SPD-Chef Kurt Beck in der Bild am Sonntag, der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Peter Struck im Spiegel, Unions-Fraktionschef Volker Kauder in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla in der Welt am Sonntag – sie alle und noch viele mehr regten sich vor allem darüber auf, dass in der großen Koalition zu viel übereinander und zu wenig miteinander geredet werde. Dass sich bei den Roten dieser und bei den Schwarzen jener nicht an die gemeinsamen Absprachen halte. Dass solche Alleingänge das Regierungsbündnis gefährdeten.

Am ruppigsten äußerte seine Kritik, wieder einmal, Peter Struck. In der Union „scheinen einige durchzudrehen“, sagte er. Ihm reiche es, dass „Mitglieder der Bundesregierung permanent absprachewidrig Forderungen stellen, die weit über das hinausgehen, was vereinbart worden ist“. Auf die Frage, wen er damit meine, antwortete er offen: „Michael Glos und Ursula von der Leyen, und nicht nur die.“

An Wirtschaftsminister Glos stört die SPD, dass er nach dem Beschluss des Kabinetts über eine Unternehmensteuerreform plötzlich die Abschaffung der Erbschaftsteuer forderte. In diesem Zusammenhang fiel auch das mittlerweile viel zitierte Wort vom „Casus Belli“ – Kurt Beck hatte damit gemeint, dass die Sozialdemokraten in der Abschaffung ebenjener Erbschaftsteuer einen „Kriegsgrund“ sähen. An Familienministerin von der Leyen stört die SPD, dass diese bislang nicht preisgebe, wie sie ihre ehrgeizigen Pläne zum Ausbau der Kinderbetreuung finanzieren will. Und an Innenminister Wolfgang Schäuble, den Struck im Spiegel-Interview ebenfalls hart anging, stört die SPD dessen Mantra vom Einsatz der Bundeswehr im Inland. Struck warf Schäuble indirekt vor, sich einen Terroranschlag auf Deutschland herbeizuwünschen – um die politische Verantwortung dafür den Sozialdemokraten in die Schuhe schieben zu können. „Dann wird er behaupten“, so Struck, „mit der Bundeswehr wäre das nicht passiert.“

Der Rundumschlag des SPD-Fraktionschefs gipfelte in einer handfesten Drohung. Sollten CDU und CSU die Erbschaftsteuer weiter abschaffen wollen oder eine Regelung darüber hinauszögern, sehe er das Ende der Koalition gekommen. „Dann würde ich sagen: Jetzt ist Schluss“, so Struck. „Ich glaube aber nicht, dass es irgendjemand bis zu diesem Punkt treiben will.“

Auch wenn Struck mit diesem Zusatz recht behalten dürfte, so hat er es mit seinem Interview trotzdem geschafft, den Koalitionspartner neuerlich bis zur Weißglut zu reizen. Prompt forderte CDU-Generalsekretär Pofalla den SPD-Vorsitzenden Beck auf, Struck zur Ordnung zu rufen. „Man kann nicht ständig Disziplin einfordern und dann immer als Erster rumkrakeelen“, sagte er. Die Union betone seit Tagen „morgens, mittags und abends“, dass die Reform der Erbschaftsteuer im vereinbarten Umfang umgesetzt werde.

Unionsfraktionschef Volker Kauder fiel in einem der seltenen Momente von Besonnenheit wenigstens einer der wahren Gründe für die schlechte Stimmung in der Koalition ein: „Die SPD kommt nicht vom Fleck.“ Ihr Vorsitzender Kurt Beck habe eine „schlechte Presse“. Das alles beunruhige den Koalitionspartner.

In der Tat: Die SPD leidet ja nicht nur an der großen Koalition, sondern auch und vor allem an sich selbst, an ihrer Erfolglosigkeit. Dieses Gefühl überträgt sie momentan auf ihren zwar fleißigen, aber doch glanzlosen Parteichef. Sie ist irritiert über die katastrophalen Umfragewerte ihres Vorsitzenden, denen zufolge die CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel sogar unter SPD-Wählern mehr Zustimmung findet als Beck. Sie lässt sich von der Tatsache verunsichern, dass der Spiegel innerhalb von nur vier Wochen drei Anti-Beck-Geschichten geschrieben hat.

Plötzlich glauben viele in der Partei, ihren Vorsitzenden, den sie vor kurzem wegen seiner ausgleichenden Art lobten, nicht mehr zu verstehen. Selbst seine harmlose Ankündigung, die Partei darüber diskutieren zu lassen, ob drei stellvertretende SPD-Chefs nicht besser seien als fünf, löst Verwunderung aus. Als hätte sich die Partei die fünf blassen Stellvertreter nicht selbst gewählt.

meinung und diskussion SEITE 11