Tiere sprechen mich an

Ein Löwe, ein Kaninchen, ein Strauß und ein Fisch sind unterwegs in meinem Körper

Ich weiß, die Vorstellung von einem Tier im meinem Bauch ist nicht besonders schön

Es stimmt nicht, dass ich mich, wie immer behauptet wird, Tieren gegenüber feindlich verhalte. Von Missbrauch und Gewalt kann keine Rede sein. Ich bin Tieren stattdessen immer mit großer Freundlichkeit begegnet, zum Beispiel in den verschiedenen Kleintierhandlungen in meinem Stadtteil sowie bei einem Besuch im Bremer Zoo.

Richtig ist dagegen, dass sich in meinem Bauch ein kleines Kaninchen befindet, das immer hin und her springt, ohne herauszufinden. Ich habe das niemals verschwiegen und bekenne es hiermit noch einmal öffentlich. Ich weiß, die Vorstellung von einem Tier im meinem Bauch ist nicht besonders schön, aber man kann sich seinen Körper halt nicht aussuchen.

Der Fisch in meiner Wade ist im Unterschied dazu ein ruhiger Geselle. „Unser Leben ist von größter Belanglosigkeit und gleichzeitig von höchster Bedeutung“, behauptete er jüngst und ergänzte: „Das gilt auch für Turnbeutel, Zebrastreifen und Türklingeln.“ Es stimmt, dass mich solche Äußerungen stören. Besonders nachts.

Von einem Löwen in meinem Bauch oder Körper habe ich nie etwas geschrieben. Es ist aber bekannt, dass es ihn gibt und er das Kaninchen haben will. Oder mindestens den großen Fisch.

Tatsächlich habe ich mich deshalb mit den Tieren in mir hinter dem Regal in der Küche versteckt. Der Aufforderung des Straußes, der früher mal meine Beine war und auch hier gestanden hat, das Versteck sofort zu verlassen, bin ich nicht nachgekommen. Stattdessen habe ich mich nicht von der Stelle bewegt. Zur Sicherheit.

Als weitere Maßnahme habe ich überlegt, Papierschnitzel in der Wohnung zu verteilen und den Löwen auf eine falsche Fährte zu führen. Oder ihn aus dem Haus zu locken und dann die Hausnummern zu vertauschen, so dass er sich später nicht mehr zurechtfindet. Beide Pläne konnten von mir aber im Zuge der nachfolgenden Ereignisse nicht umgesetzt werden.

Zu diesem Zeitpunkt war mir nämlich noch nicht bekannt, dass sich der Löwe als Backsteinmauer tarnen kann. Das wurde mir erst klar, als ich plötzlich seinen Atem in meinem Rücken spürte. Für eine Weile habe ich so getan, als bemerkte ich ihn nicht. Um mich zu beruhigen, habe ich an Wörter wie „Harmonie“, „Wald“ und „Erdbeereis“ gedacht.

Als es sehr dunkel geworden ist, habe ich dann ein Lied gesungen, aber so, dass der Löwe es nicht hören konnte. Falsch ist die Behauptung, ich hätte folgendes Kinderlied angestimmt: „Ich bin du / Du bist ich. / Mehr gibt es nicht. / Ja, das ist er nicht, / der Unterschied zwischen uns / im Paralleluniversum.“ Tatsächlich war der wahre Wortlaut: „Honig ist keine Ersatzreligion / der Keks ist für unterwegs. / Keinen Spatz in der Hand / Stehe ich an der Wand / Staub im Sand. / Mehr oder weniger.“ Dazu gehört auch noch der Refrain: „Das Ganze ist nicht das Wahre, / Das Ganze ist nicht das Wahre.“

Später habe ich versucht, den Löwen mit den Worten „Eigentlich bin ich ein ganz netter Kerl“ für mich einzunehmen. Der Löwe hat sich kurz als „Olaf!“ vorgestellt und mir anschließend seine Pranke ins Gesicht gedrückt, bis leicht Blut aus meiner Nase gedrungen ist. „Ich habe kein Recht, mich zu wehren. Meine Waffe ist der Verstand, nicht meine Faust, mein Bein oder mein Schädel“, hat darauf der große Fisch in meiner Wade gesagt. Das Kaninchen im Bauch ist hingegen ganz still gewesen.

Um mir meine Orientierung zu rauben, hat der Löwe anschließend versucht, meine Wohnung zu renovieren. Nach ein paar Stunden war alles mit dunklem Nussbaumimitat verkleidet, so dass ich mich kaum noch zurechtgefunden habe! Als ich für einen Moment hinter dem Regal in der Küche hervorgekommen bin, habe ich mich beispielsweise sofort an einer Kommode gestoßen, die da gar nicht hingehört.

Statt mich weiter in meinem unsicheren Versteck hinter dem Regal aufzuhalten, habe ich mich schließlich entschlossen, unbemerkt in mein Hochbett zu flüchten, um mich vor dem Löwen zu schützen. Dies ist mir nach einigen Fehlversuchen auch gelungen. Vom Hochbett aus konnte ich alles genau beobachten, so dass ich immer auf dem Laufenden gewesen bin. Nur mein „Bericht über die Wespenpest“, der sich auf dem Schreibtisch befand, musste leider unbearbeitet bleiben.

Nach ein paar Tagen hat sich der Löwe seinem Schicksal gefügt und keine weiteren Angriffe gestartet. Stattdessen habe ich mich auf meinem Hochbett in Gegenwart von zwei Raben befunden. „Das ist alles Einbildung“, hat der eine gesagt. „Es gibt keine sprechenden Tiere“, der andere ergänzt. Anschließend haben sie mir mit voller Wucht in die Nase gehackt.

JAN ULLRICH