Filmprimadonna

Zwischen Mannweib und Showgirl: Ein Symposion und eine Retrospektive in Frankfurt erinnern an den dänischen Stummfilmstar Asta Nielsen

VON SHIRIN SOJITRAWALLA

Eben noch raucht sie als Zigeunerin in „Das Mädchen ohne Vaterland“ Zigarren wie ein Kerl, um im nächsten Film derart lasziv ihr Becken zu kreisen, dass ein damaliger Rezensent notierte, sie bewege sich „auf der Messerschneide der Unzucht“. Die Schauspielerin Asta Nielsen (1881 bis 1972) ist ein Phänomen, auch weil sie sich klaren Zuschreibungen verweigert, mal Mannweib, mal Showgirl ist. 1910 übernahm sie ihre erste Filmrolle in „Afgrunden“ (Abgründe) unter der Regie von Urban Gad. Der Skandalfilm machte sie schlagartig bekannt, wurde von der Zensur streng beäugt und beschnitten, wie so viele ihrer Filme. Das konnte freilich nicht verhindern, dass er den Ruhm der Nielsen begründete.

In etwa 75 Filmen hielt sie Kopf und Körper hin. Sie war der erste weibliche Stummfilmstar und wurde als „Duse des Films“ geradezu vergöttert. Beinahe hundert Jahre nach ihrem ersten Film würdigt die Frankfurter Kinothek Asta Nielsen e. V. gemeinsam mit dem Frankfurter Filmmuseum und dem Deutschen Filminstitut sowie dem Schauspiel Frankfurt und ZDF/Arte die Nielsen mit einer Retrospektive. Eröffnet wurde sie mit einem Symposion zum Thema „Krise und Aufbruch. Asta Nielsen als Protagonistin der Moderne“, das in Zusammenarbeit mit der Filmwissenschaft der J. W. Goethe-Universität Frankfurt veranstaltet wurde. Eine kleine Ausstellung im Filmmuseum ergänzt das Programm. Noch bis zum 9. Juni präsentiert das Filmmuseum alle zur Zeit verfügbaren Asta-Nielsen-Filme, die eine Neusichtung unbedingt lohnen, und das nicht nur, weil sie so selten gezeigt werden.

„In jedem ihrer Filme verhält sich die Protagonistin ungewöhnlich“, stellte die Frankfurter Filmwissenschaftlerin Heide Schlüpmann zu Beginn des Symposions fest. Stets experimentiert Asta Nielsen mit weiblichen Identitäten, deren Belastbarkeit sie spielerisch auf die Probe stellt. Wie etwa als Tochter in „Der fremde Vogel“, dessen Inhaltsangabe wir nur zu gerne der Vossischen Zeitung vom 4. 11. 1911 überlassen: „Der ‚fremde Vogel‘ ist eine junge Dame, die mit dem Vater und einem angehenden Liebhaber im Spreewald erscheint, sich dort in einen jungen Fischerburschen verliebt, infolgedessen dem anderen Jüngling den Laufpass gibt und, als sie zur Verlobung gezwungen werden soll, mit dem Fischer auf einem Nachen durchgeht; Verfolgung zu Wasser, Flucht des Liebespaares ins Waldesdickicht, weitere Flucht des jungen Mädchens allein, plumps ins Wasser, tot, Leichenbegräbnis.“

Bemerkenswert: Es ist die junge Frau, die das Geschehen in Gang setzt. Sie plant die Flucht mit dem Liebsten, klettert dazu beherzt aus dem Fenster in die Freiheit; ein Motiv, das sich in einigen ihrer Filme findet. Asta Nielsens Frauen ergeben sich nicht der Passivität, sondern beschreiten tatkräftig eigene Wege, weswegen sie nicht selten fliehen müssen. In „Der fremde Vogel“ wird diese forsche Haltung nicht belohnt. Die moralische Auflösung ist ein Tribut an die sanktionierten Gepflogenheiten der bürgerlichen Gesellschaft.

Dem viktorianischen Frauenbild entsprach die Nielsen in ihren Filmen nicht, in ihrem Leben schon gar nicht. Dort erwies sie sich vielmehr als ihren Filmfiguren voraus, setzte kompromisslos eigene Standards, indem sie sich weder moralischen Diktaten noch politischen Diktaturen unterwarf. Sie widersetzte sich der Heirat mit dem Vater ihrer Tochter ebenso resolut wie der Umarmung der Nationalsozialisten. Die typische Nielsen-Pose ist nicht zufällig aufrecht und stolz, die Arme protestierend in die Seiten gestemmt. Kampfbereit lehnt sie sich gegen ihr vermeintliches Schicksal auf.

Ihr mehrschichtiges Spiel widersetzt sich eindeutigen Interpretationen. Sie ist nie nur burschikos, sondern immer auch feminin, nie nur kess, sondern immer auch kokett. Sie spielt mit den Rollenfächern, testet ihre Elastizität, legt sich nicht fest. Heide Schlüpmann verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass die Nielsen sich mit allem Ernst der Aufgabe des Spiels annehme: „Sie spielt, wie Kinder es tun, für sich und mit der Wirklichkeit um sie herum (…). Hinzu kommt ihr unglaublich komisches Talent, das sich auch in ihrem kindlich-karnevalesken Spaß an der Sache ausdrückt.“

Im Lustspiel „Engelein“ etwa spielt sie eine 17-Jährige, die sich lustvoll in eine 12-Jährige verkleidet; genauso freudig schlüpft sie in ihre Hosenrollen. Im Filmscherz „Zapatas Bande“ mimt sie im Film im Film einen Räuber, der mit männlichem Schwung agiert und auch schon mal ein Fräulein küsst. Allein ihre Aufmachung widerspricht dabei jeglicher Eindeutigkeit. Zwar ist sie mit Hosen samt Patronengürtel ausgestattet, ihr rechtes Bein aber liegt reizvoll frei. Auch in den betont fraulichen Rollen frappiert ihre natürliche Dominanz, die die Mitspieler oft zu Statisten degradiert.

In „Die Filmprimadonna“ aus dem Jahr 1913, leider nur als beschädigtes Fragment erhalten, springt sie herrlich herrisch mit dem männlichen Personal um, benimmt sich wieder einmal vorlaut und renitent. Dabei kehrt sie das gängige Verhältnis der Geschlechter spielend um. So schenkt sie in einer Szene einem Verehrer eine Blume, der einem verklemmten Mädchen gleich auf der Bank sitzt und den Duft der Blume einsaugt, während die Angehimmelte derweil mit energischen Schritten ins Haus eilt. Ihren Zauber verdankt die Primadonna dabei keineswegs nur der Magie eines damals noch neuen Mediums, sondern Asta Nielsen und ihrem Spiel.