Klub der Frustrierten

VOLLEYBALL Anders als bei der Männer-WM in Polen kommt beim Frauenturnier in Italien nur wenig Euphorie auf. Besonders enttäuscht sind die Deutschen und die Russinnen

Italien galt in den letzten zwei Jahrzehnten als das Eldorado der Volleyballer, hier gab es in den Topligen der Männer und Frauen viel Geld zu verdienen. Doch die Zeiten sind vorbei

AUS TRIEST KLAUS WEGENER

Bundestrainer Giovanni Guidetti wird es nach dem letzten Spiel seiner Volleyballerinnen in der Zwischenrunde der Weltmeisterschaft wie immer eilig haben. Gegen Aserbaidschan am Sonntag (Spielende nach Redaktionsschluss) ging es um Schadensbegrenzung, nachdem das Ziel Medaillengewinn so deutlich verfehlt wurde. Irgendwo zwischen Platz sieben und elf würde sein Team landen, „welche Position es ist, ist am Ende auch egal“, sagt er. Nach getaner Arbeit wird er sich von seiner Mannschaft verabschieden, die er wahrscheinlich erst im Mai wieder trifft, wird seine Sachen packen und mit seinem Auto flugs den Hafen ansteuern. Dort wird das Gefährt auf ein Schiff verfrachtet, nach Istanbul gebracht, während Guidetti per Flieger vorauseilt, um es dort drei Tage später abzuholen. Guidetti ist Klubtrainer bei Vakifbank Istanbul, und bei aller Wertschätzung gegenüber seinen Nationalspielerinnen wird er froh sein, dass das Kapitel WM beendet ist. Vielleicht ist es ja mal an der Zeit, einen Klub für frustrierte Trainer zu gründen.

Eine Medaille hatte es werden sollen, so wie bei den Männern, die eine Woche vor Start der Frauen-WM bei ihren Titelkämpfen Bronze gewonnen haben. Ein historischer Erfolg für die Volleyballer, auf den sie über 40 Jahre lang gewartet haben. Die WM in Polen war ein Festakt feinster Qualität. Ausverkaufte Hallen, Gänsehautstimmung, Public Viewing mit rund 20.000 Fans vor der Arena in Kattowitz, und am Ende feierte die polnische Männerauswahl ihren zweiten WM-Titel nach 1974 durch ein 3:1 gegen Brasilien. Die Südamerikaner verpassten ihren vierten Triumph in Serie.

Von Kattowitz aus sollte die Woge der Euphorie auch nach Italien hinüberschwappen. Italien galt in den letzten zwei Jahrzehnten als das Eldorado der Volleyballer, hier gab es in den Topligen der Männer und Frauen viel Geld zu verdienen. Doch die Zeiten sind vorbei, mittlerweile lockt Polen als das neue Volleyball-Eldorado. Deutschlands Männer-Bundestrainer Vital Heynen sieht „die polnische Liga als die stärkste in den nächsten Jahren“. Er selbst arbeitet als Klubtrainer in Bydgoszcz, und ein halbes Dutzend seiner Nationalspieler hat einen Kontrakt bei einem polnischen Verein.

In Italien hoffen sie auf einen neuen Schwung durch die Weltmeisterschaft der Frauen. Noch liegt das Team der Gastgeber gut im Rennen, richtig Stimmung kam und kommt in den sechs Spielorten aber nur dort auf, wo die Italienerinnen selbst spielen. Dann machen 11.000 Zuschauer wie zuletzt in Bari einen Höllenlärm. Ob es am kommenden Sonntag allerdings eine Medaille für die Italienerinnen gibt, ist ungewiss. Für die am Mittwoch beginnende Runde der besten sechs sind sie qualifiziert, genau wie China, die Dominikanische Republik, die USA und Brasilien. Über den einzigen noch freien Platz entschied am Sonntag das Duell zwischen Serbien und Russland. Serbien genügen zwei Satzgewinne, denn bei einer Fünf-Satz-Niederlage gibt es einen Punkt für den Verlierer. Dann muss der Weltmeister von 2006 und 2010 die Heimreise antreten. Es wäre ein Debakel für die erfolgsverwöhnten Russen, deren Männerauswahl in Polen nur Rang fünf erreicht hat. Mit blank liegenden Nerven: Gegen den Angreifer Alexej Spiridonov läuft ein Verfahren der Disziplinarkommission des Weltverbandes. Spiridonov soll in Polen einen Fan bespuckt haben. Außerdem machte er nach Punktgewinnen Gesten, als würde er mit einem Maschinengewehr ins Publikum schießen.

Im vergangenen Jahr hatten Russlands Frauen das EM-Finale in Berlin gewonnen gegen die Deutschen. Ohne die Starangreiferin Ekaterina Gamova, die nach dem Viertelfinal-Aus bei den Olympischen Spielen 2012 ihren Rücktritt erklärt hatte. Das Scheitern in London hatte bittere Folgen, Trainer Sergej Ovchinnikov beging einen Monat später Selbstmord. Welche Rolle der Sport bei seiner Entscheidung gespielt hat, ist unbekannt. Es musste jedenfalls ein neuer Trainer her. Er wurde in Juri Maritschew gefunden, bis dahin erfolgreich als Trainer von Männerteams. Erfahrungen mit Frauenteams hatte er nicht vorzuweisen. Für die WM gelang es ihm, Gamova zu reaktivieren, die bislang überzeugte, aber ein dritter Triumph in Serie ist damit nicht garantiert. Im Frühjahr war die russische Trainerlegende Nikolai Karpol mit Jekaterinburg in Dresden bei einem Europapokalspiel zu Gast. Karpol ist 76, coacht seit 1969 und ist einer der weltweit erfolgreichsten Trainer. Sein Urteil über Maritschew lässt Zweifel erkennen: „Auch wenn er Europameister geworden ist, ist es noch zu früh, über seine Erfolge zu reden. Seitdem ich 2004 als Nationaltrainer zurückgetreten bin, ist er bereits der vierte Trainer der Sbornaja.“ Möglicherweise wird demnächst auch Maritschew über einen Klub der Frustrierten nachdenken.