„Museen können, was Nike kann“

ARMIN KLEIN, 56, lehrt Kulturwissenschaft und -management in Ludwigsburg. Er berät Theater und Museen bei ihrem Marketing.  FOTO: PH Ludwigsburg

taz: Herr Klein, Sie sagen, dass Events wie der Tag der Museen, der an diesem Wochenende stattfindet, keine neue Besucherschichten zur Kultur locken. Warum nicht?

Armin Klein: Die Leute, die dahin kommen, gehen zu jedem Event – egal, ob im Museum die Musik spielt oder beim Open-Air-Kino oder beim Sport. Man muss sich aber fragen, ob dieses Publikum auch am Sonntag zur Vernissage eines regionalen Künstlers kommen würde. Es gibt eine Gruppe, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, die ist nur sehr schwer für Kultur zu gewinnen. Bevor man um die wirbt, sollte man erstmal bei den 45 Prozent anfangen, die grundsätzlich kulturinteressiert sind. Wenn man die fragt, warum sie nicht kommen, hat das ganz banale Gründe: Sie haben niemanden, mit dem sie hinterher darüber reden können. Sie finden keinen Parkplatz. Die Uhrzeit der Theatervorstellung passt ihnen nicht, weil sie hinterher noch schön essen gehen wollen.

Können Museen solche Events denn gar nicht für sich nutzen?

Doch. Sie müssen an die Adressen der Besucher herankommen, zum Beispiel durch Gewinnspiele. Dann müssen die Mitarbeiter des Museums ausschwärmen und jeden Einzelnen belatschern: Möchten Sie nicht zu unserer nächsten Vernissage kommen? Wir schicken Ihnen eine Einladungskarte. Wenn sie tatsächlich kommen, geht in amerikanischen Museen das Spiel erst richtig los: Dann kommen dieselben Mitarbeiter wieder auf sie zu und schlagen ihnen eine Mitgliedschaft vor. So werden die Besucher Schritt für Schritt eingebunden.

Warum machen die deutschen Museen das nicht?

Weil es Arbeit macht. „Für Marketing habe ich keine Zeit“, sagen sie. Dabei sollten sie lieber woanders sparen – zum Beispiel bei diesen dicken Katalogen, die zwei Jahre später zum Niedrigpreis abgestoßen werden.

Sie haben Ihre Thesen gerade vor Museumsmachern vorgestellt. Fühlen Sie sich als Prediger in der Wüste?

Ja – mit vier Ausrufezeichen!!!! Die allermeisten denken nur von ihrer Sammlung her, statt zu fragen: Welche Besucher könnten für uns interessant sein? Ein positives Beispiel ist Karlsruhe. Da gab es eine Ausstellung zu den Wurzeln der Menschheit in Anatolien. Die Texte wurden auch ins Türkische übersetzt. Das Museum war voll mit türkischen Besuchern. Leute, die sonst nie ins Museum kommen, gingen stolz herum, weil sie das Gefühl hatten: Hier wird etwas von uns gezeigt. So ähnlich ist es im Bremer Überseemuseum. Da wird gezeigt, was Asien mit der Bremer Bevölkerung zu tun hat. Man denkt plötzlich: China ist ja hier.

Sie sagen, dass Jugendliche Kulturveranstaltungen fernbleiben, weil sie in ihrer Szene keine Rolle spielen. Können Kultureinrichtungen das ändern?

Gucken Sie doch mal, wie das Nike oder Puma machen. Sie greifen aus den Schulklassen die Trendsetter heraus und statten sie kostenlos aus. Warum fragen die Museumsmacher nicht ihre Kinder, wer in den Klassen die Multiplikatoren sind, und laden diese Jugendlichen gezielt ein?INTERVIEW: ANNEDORE BEELTE