Erinnerung als Mahnung

Ines Geipel, Opfer des DDR-Sportsystems, weist in einem offenen Brief an den Bundesinnenminister auf die Menschenrechtslage und die Dopingpraxis in China hin

BERLIN taz ■ Die frühere Spitzensportlerin Ines Geipel hat im Einvernehmen mit weiteren DDR-Dopingopfern in einem offenen Brief Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, und den Präsidenten des Internationalen Olympisches Komitees (IOC), Jacques Rogge, aufgefordert, in Bezug auf die Sommerspiele in Peking 2008 die Menschenrechtsverletzungen und das Dopingproblem in China nicht weiter zu ignorieren. Deutschland sei gerade aufgrund seiner historischen Erfahrung verpflichtet zur Solidarität, etwa mit den verschwundenen chinesischen Schwimmern, schreibt Ines Geipel.

Vor kurzem – während eines Vortrages im fünfstöckigen Zellenhaus des ehemaligen Stasi-Gefängnis Bautzen II, wo einst der DDR-Staatsterror freiheitsliebende Menschen zermürbte, reifte in ihr der Gedanke, an den offenen Brief. 2002 verschwanden etwa die Hälfte von einhundert hoffnungsvollen Schwimmrekruten auf dem Weg in eine der Pekinger Eliteschulen von der Bildfläche: „Die Deformationen des zwangsdopinggesteuerten DDR-Sports haben eines zumindest eindrucksvoll zu Tage gefördert: Trifft eine einrutschende Diktatur auf den freien Markt, wird der Zugriff auf die schutzbefohlenen Körper in ihr ungeheuer rabiat“, schreibt Ines Geipel, mittlerweile Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Ihre schmerzlichen Erfahrungen mit dem eigenen Körper im zwangsdopinggesteuerten DDR-Leistungssportsystem ließen die frühere Weltklasse-Sprinterin seit den Prozessen gegen Ex-Spitzensportfunktionär Manfred Ewald und andere zur Mahnerin gegen die kriminellen Praktiken im globalen Leistungssport werden.

Den Appell an die heutigen Sportführer begründete die 46-Jährige mit den Parallelen zwischen dem ehemaligen Staatsdoping der DDR und der Entwicklung in China. Als Beleg nannte Geipel in ihrem Brief jene 450 Flaschen mit Dopingsubstanzen (Epo, Steroide, Amphetamine), die im August 2006 im Kühlschrank des Direktors der Anshan-Sportschule in der Provinz Liaoning sichergestellt wurden, „die an 15- bis 18-jährige Athleten vergeben wurden, beziehungsweise werden sollten“.

China hat zur Umsetzung der ehrgeizigen Ziele nach Ansicht von Geipel auch Fachleute aus Deutschland eingekauft: Dazu gehört die einstige Leiterin der Forschungsgruppe Schwimmen des geheimen DDR-Sportinstitutes FKS in Leipzig, Helga Pfeiffer, die für das Doping im ostdeutschen Schwimmsport mitverantwortlich war. Viele Schutzbefohlene aus den 3.000 Athletik-Schulen des bevölkerungsreichsten Landes der Erde seien stark gefährdet, durch perfide Dopingpraktiken um ihre Gesundheit gebracht zu werden. Wer aber gewährleiste dabei den Schutz, etwa von minderjährigen Athleten, fragt Ines Geipel: „Kommt eine internationale Ethikkommission zum Einsatz, die sich über die humanitären Standards im chinesischen Sport ein Bild macht? Warum gibt es kein ‚Projekt saubere Spiele‘, das die öffentlich gewordenen Indizien zum dopingverseuchten chinesischen Sport klärt? Was plant das IOC, was planen der deutsche Sport und die deutsche Politik, damit die Welt im Sommer 2008 Olympische Spiele feiert, die ihrem selbst gegebenen Geist tatsächlich entspricht?“

Auch die enorme Zunahme politisch motivierter Verfolgung im Land sollte die Welt alarmieren. Deshalb fordert sie in ihrem Brief eindringlich: „Die traditionell zurückhaltende Abwehrposition des Sports in Bezug auf seine politische Rolle muss fallen, will er seinen Anspruch als eines der wichtigsten globalen Humanprojekte aufrechterhalten.“

THOMAS PURSCHKE