Senden gegen Spenden

Was immer Karlsruhe zur Zukunft der Rundfunkgebühr entscheidet – die USA sollten dabei keinesfalls Vorbild sein. Denn hier findet Public Broadcasting nur noch in der Nische statt. Ein Erfahrungsbericht

Public Television (PBS)Dachorganisation: Public Broadcasting Service (PBS) Website: www.pbs.org Regionale Sender: 354 Gesamtbudget: 1,7 Milliarden US-Dollar (2006); davon aus staatlichen Mitteln: 15 Prozent; davon Spenden: 23 Prozent; Rest: Sponsoring

Public Radio (NPR)Dachorganisation: National Public Radio (NPR) Website: www.npr.org Regionale Sender: über 800 Gesamtbudget: 160 Millionen US-Dollar (2005); jeweils zu etwa gleichen Teilen staatliche Mittel, Spenden und Sponsoring

VON JULIE SIPLE

Kurz nach meiner Ankunft in Deutschland erschien ein Mann mit schütterem Haar an meiner Tür. Er redete in rasendem Deutsch von „Radios“, „Fernsehen“, „Gebühren“ und „Kontrolle“ – ich traute meinen Ohren nicht: Schon die Idee, dass GEZ-Mitarbeiter das gesamte Land nach Leuten durchkämmen würden, die ihre Rundfunkgebühren nicht bezahlen, schien mir absurd. Doch verglichen mit dem amerikanischen System macht es irgendwie auch wieder Sinn.

Gerade verhandelt das deutsche Bundesverfassungsgericht über die künftige Form der Rundfunkgebühr. Die Zeit könnte tatsächlich reif sein, das duale System aus Öffentlich-Rechtlichen und Privaten auf den Prüfstand zu stellen – und an die neuen Verhältnisse anzupassen. Doch die Situation in den USA ist ein beredtes Beispiel, hierbei nicht zu weit zu gehen.

In meiner Heimat heißt der öffentlich-rechtliche Rundfunk Public Broadcasting – und spielt alles andere als in der ersten Medien-Liga: Er fristet vielmehr ein Nischendasein. Der Public Broadcasting Service (PBS-TV) and National Public Radio (NPR) führen das Feld der regionalen, unabhängigen Sender an. Sie alle bieten hoch angesehene Reportagen und Nachrichten, Kulturprogramme und pädagogisch wertvolles Kinderfernsehen. Aber sie erreichen nur einen Bruchteil des Publikums.

Das liegt zum größten Teil am Geld: Anders als der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland mit seinen fast 7 Milliarden Euro garantierter Gebühreneinnahmen aus der Bevölkerung erhält Public Broadcasting in den USA vergleichsweise wenig öffentliches Geld vom Staat: Ganze 25,5 Millionen Dollar sind es beim jährlichen TV-Budget von 1,7 Milliarden Dollar, auch beim Radio liegt der Anteil der öffentlichen Förderung nur unwesentlich höher.

Die Sender des Public Broadcasting Systems sind vielmehr auf Sponsoring angewiesen – und darauf, dass ihre Zuschauer und Hörer Spenden schicken. So ungewöhnlich das aus deutscher Sicht – wenn vielleicht auch nicht aus der von taz-GenossInnen – sein mag, es hat auch seine Vorteile: Die Menschen spüren, dass sie Teil eines gemeinsamen Projekts, eines „community efforts“ sind.

Aber wir müssen tief in die Trickkiste greifen, um Herzen und Brieftaschen zu öffnen: Beim Radiosender, für den ich in Minnesota arbeite, unterbrechen wir das Programm dreimal im Jahr für einen jeweils einwöchigen Spendenmarathon. Wir bitten unsere Hörer um Geld, flehen sie an – und nutzen Schuldgefühle wie amerikanische Ideale: „Wenn du jeden Tag gern 2 Dollar für einen dünnen Starbucks-Kaffee bezahlst, warum gibst du nicht auch diesem Radioprogramm etwas ab?“ Als Dankeschön haben wir minderwertige Kaffeebecher, Basecaps und drittklassige T-Shirts im Angebot, und im hauseigenen Katalog verkaufen wir alles von Fußmatten über Bierkrüge bis zum „Ultimativen Witze-Buch“. 2006 haben uns so allein rund 90.000 Menschen in Minnesota erhört. Insgesamt kamen mehr als 10 Millionen Dollar zusammen, im Durchschnitt gibt jeder Spender 120 Dollar im Jahr. Doch solches Fundraising ist unkalkulierbar und macht es schwer, langfristige Projekte oder gar neue Programme zu planen.

Dazu kommen aktuell immer stärker „politische“ Sorgen: Hochrangige Republikaner werfen den Public-Broadcasting-Programmen eine zu liberale – lies: nach dem Geschmack der Bush-Administration zu kritische – Berichterstattung vor. Und das unlängst noch von ihnen kontrollierte Repräsentantenhaus hat mehrfach erwogen, die öffentlichen Zuschüsse weiter zusammenzustreichen.

Und natürlich stehen Amerikas Privatsender bereit, um solche Lücken zu füllen: Auch sie bieten allabendlich Nachrichten und sogar historische Dokus. Doch deren Zahl scheint winzig, verglichen mit der Übermacht von Casting-Shows, Action-Serien und blutrünstigen Thrillern.

Der Tod der klassischen Musik in den USA dürfte in der Tat darauf zurückzuführen sein, dass kaum ein Radiosender sie noch spielt. – Es ist ein Preis, den die meisten Amerikaner zu zahlen bereit sind, damit weiter die Kräfte des freien Marktes das Programm bestimmen. Denn Zielgruppe aller Privatsender sind nun mal die Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten – und nicht in der als aufgeklärte Staatsbürger.

Und so zeigte ich dem Mann mit dem schütteren Haar auch mein Radio. Denn vielleicht ist die Gebühr zu hoch. Vielleicht sollte auch nicht jeder automatisch zur Zahlung von 17,03 Euro im Monat verpflichtet sein, nur weil er ein TV-Gerät besitzt. Aber das deutsche Rundfunksystem liefert im Gegenzug hochwertige Informationsprogramme, sendet ein bisschen Johannes Sebastian Bach durch den Äther – und stellt sicher, dass Public Broadcasting nicht komplett irrelevant wird. Das ist doch wirklich ein paar Becher Cappuccino wert.

Übersetzung: Steffen Grimberg

Julie Siple arbeitet für Minnesota Public Radio und ist im Rahmen eines Journalisten-Austauschprogramms der Robert-Bosch-Stiftung in Deutschland